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Es besteht bei fast allen, die über das Wesen der Modernität nachgedacht haben, ein mehr oder weniger ausdrücklicher Konsensus darüber, daß das Weltalter, in dem wir leben, ein riesiges Experiment der primären technologiefähigen Nationen über das Motiv der grenzenlosen Steigerung von Macht und der immerwährenden Intensivierung des Lebens darstellt. In diesem Weltexperiment entdecken sich die modernen Subjekte – fortschreitend von Generation zu Generation – als Träger eines spezifischen Willens zur Macht. Es ist freilich durchaus nicht wahr, daß mit Männern vom Schlage eines Kolumbus oder eines Descartes, eines Cosimo oder eines Bacon mit einem Mal ein neues fertiges Geschlecht von theoretischen und praktischen Machtmenschen auf den Plan getreten sei, die nun nach einem gewalttätigen Meisterplan ein von vorneherein intendiertes Imperium des Könnens ohne Grenzen aufgerichtet hätten. Die genannten Namen stehen als personale Symbole für einen transpersonalen Wirbel, in dem sich das epochale Experiment der fortgehenden Macht- und Könnenssteigerungen aufschaukelt. Nicht einzelne Individuen sind Initiatoren und erste Ursachen des großen neuzeitlichen Ausgriffs in die Seinsweise der neuen Kompetenzen, sondern eine autonome, durch aktive Subjekte hindurchgreifende Kompetenzsteigerungsspirale ist es, die sich mit den schöpferischen Geistern der frühen Moderne zu drehen beginnt, indem sie den Erfindungswillen und die Initiativität jener Männer rekrutiert. Die großen Namen aus der Frühzeit der europäischen Ermächtigungsgeschichte sind gewissermaßen die Namen von experimentellen Aposteln – sie bezeichnen Individuen, die als die Erstberufenen einer neuen globalen europäischen Mission gelten können; sie waren die Träger eines ursprünglichen Apostolats der Wissensmacht, das sich mit der Unwiderstehlichkeit einer siegreichen Religion fortpflanzte, immer neue Berufungen hervorbringend und zu immer neuen Sukzessionen inspirierend. Die Macht- und Kompetenzerweiterungsspirale der europäischen Neuzeit läßt sich als eine Art Fortsetzungsspiel beschreiben, in dem jeweils neue Generationen – vom Könnensniveau der älteren ausgehend – ihr eigentümliches Kapitel in den epochalen Steigerungsroman einfügten. Vor dem Drama sind alle Akteure gleich, und vor dem Ruf zur Macht verschwinden zu Beginn der Neuzeit die ständischen Differenzen; Kaiser und Bürger sind gleichzeitig Medien der autonomen Machtspirale, – Fürsten hören wie Ingenieure den Ruf der neuen Könnens-Horizonte. Plus ultra lautete das Motto des habsburgischen Kaisers Karl V., und auf den Weltmeeren des frühen 16. Jahrhunderts kreuzten die spanischen Flotten unter diesem Zeichen, von dem man behaupten darf, es sei das maßgebliche Europäerwort der Neuzeit. Nur wer dem inneren modus operandi seines Lebens nach an diesem Immer-Weiter Anteil hat, ist im präzisen Sinn des Wortes ein moderner Europäer. Erst nach der Einnistung des Steigerungsmotivs in den Pilot-Individuen der Neuzeitspirale wird Subjektivität modernen Typs im eigentlichen Sinne möglich und wirklich. Im Willen zum Immer-Weiter sind Zwang und Spontaneität untrennbar ineinander verschmolzen, sodaß sich nie mehr sagen läßt, ob die Spirale ihre Dynamik eher aus Könnenwollen oder Könnenmüssen zieht – gewiß ist nur, daß ihre Schwungmasse zuletzt immer subjektiver, also kompetenzhafter wird, sodaß sich Könnenwollen in Wollenkönnen und Könnenmüssen in Müssenkönnen verwandelt. So wird, mit anderen Worten, jedesmal das Kompetenzmoment führend, und das Subjekt kristallisiert sich fortschreitend heraus als eines, das sein Handeln, sein Wissen, sein Begehren, sein Wollen auf einem subjektiven Kapitalstock von Kompetenzen gründet. Es ist dies alles nur eine andere Art zu sagen, daß moderne Subjekte diskrete Medien von Macht sind; die modernisierte Macht ist aber mehr als ein träger Schatz; sie ruht nicht nur auf einem Bestand aus einfacher Macht, sondern entwickelt sich als Macht mit einem Steigerungsindex, als Ermächtigungsmacht – wenn man so will. Wer auf moderne Weise etwas kann, der kann es so, daß ein Zuwachs an Können samt einem Willen zum Mehrkönnen a priori schon mitgemeint und mitgekonnt wird.
Ich möchte diese Andeutungen über die Dynamisierung von Macht und Kompetenz für die Charakterbestimmung des gegenwärtigen Zeitalters nutzen. Ein in der westlichen Welt weitverbreitetes Sprachspiel legt uns die Meinung in den Mund, wir lebten in einer postmodernen Zeit. Darunter ist entweder eine epigonale Position gegenüber der heroischen und avantgardistischen Modernität, vor allem in den Künsten, zu verstehen, oder eine ernüchterte Position gegenüber exaltierten Vorstellungen von Geschichtsplanung und Naturbeherrschung. Wenn die Moderne ein Kompositum aus Genialität und Konstruktivismus war, so wäre die Postmoderne eines aus Mediokrität und Chaosmanagement. Ich möchte demgegenüber zeigen, daß solche Entgegensetzungen sich unter kompetenzgeschichtlichen Gesichtspunkten nicht halten lassen. Denn über die beiden Positionen hinweg, und durch sie hindurch, zieht sich die unaufgehaltene Bewegung der Machtsteigerungsspirale; ja man kann sogar der Meinung sein, daß die sogenannte Postmoderne nur eine weitere Landmarke in der seit Jahrhunderten akkumulierenden Ermächtigungsdynamik festsetzt. Was sie auszeichnet, ist die soziale Vermassung der vormaligen Avantgardequalitäten und die Übersetzung von einst pathetischer Kreativität in alltägliche Manipulation von Materialien und Zeichen durch die Angehörigen einer weltumspannenden Design-Zivilisation, sprich durch die übernationalen neuen smarten Mittelschichten. In dieser Sicht sind Moderne und Postmoderne durch ein überwältigendes Kontinuum verbunden. Ohne Zweifel ist auch die Postmoderne nur eine Phase in der Geschichte des euro-amerikanischen Plus-Ultra. Sie hat keine Entspannung vom Zwang zur Macht mit sich gebracht, allenfalls hat sie das Könnenmüssen dem neuesten Stand der Technologie angepaßt und ein wenig Spiel in den zeitgenössischen Kompetenzstil eingeführt. Es gibt keine Anzeichen für einen wirklichen Epochenbruch im Sinne eines Abbruchs der Kompetenz-Eskalation. Solange nicht eine höhere Gewalt die Spirale der Könnenssteigerungen sprengt, bleibt ihre Aufschraubung als kinetisches Herzstück der Modernität ungebremst in Fahrt. Auch was ihr widerstehen möchte, scheint zu ihrem Auftrieb beizutragen; wer sie bekämpft, treibt sie voran. Was auf die Modernität folgen wird, kann darum nur ein weiteres höheres Modernitätsniveau sein. Unser Zeitalter hat, solange der Weltlauf dieser seiner Eigendynamik überlassen bleibt, nichts vor sich außer der Fortschreibung und Steigerung seiner selbst ins Unabsehbare und doch prinzipiell Immergleiche – bis hin zu Grenzwerten, von denen man gleichwohl annimmt, auch sie ließen sich überspielen und immer weiter hinausrücken. Die Modernität ist somit die Endzeit ihrer selbst, und sie kann wesenhaft für sich selbst nichts anderes als ihre eigene Zukunftsquelle sein, sofern sie die Drehung der Kompetenzspirale bleibt. In diesem Sinn muß man sie als ein dynamisches Millenium verstehen. Wer auch immer sein Leben als genuiner Teilnehmer am Weltexperiment der Neuzeit vollzieht, muß sich Rechenschaft ablegen über seine spontane Beteiligung an einer millenarischen Operation. Für diese gilt seit dem europäischen 16. Jahrhundert die noch immer unüberwindliche imperiale Devise. Gleich ob wir in Kolumbus oder Karl V., in den Ingenieuren der Renaissance oder den Utopikern des Barock die ursprünglichen Apostel des neuzeitlichen Kompetenz-Evangeliums sehen: wir stehen noch immer mit jeder aktuellen Lebensäußerung in ihrer Sukzession. Ob wir Jahrhunderte rückwärts schauen oder die Gegenwart in die Zukunft weiterdenken – wir sind zunächst und zumeist Agenten und Medien für ein Tausendjähriges Reich der Kompetenz.
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Dieses unruhige Reich ist, soviel wir wissen, kein bequemer Ort. In der agitierten Endzeit ohne Ende wird dem Leben der einzelnen eine neuartige wettlaufartige Leistungsverfassung aufgeprägt; diese erzwingt die Entwicklung des Individuums zu einer adaptionsbereiten Biomaschine. Als Könner oder Inhaber von Kompetenz muß das einzelne Subjekt zu einem Träger von abstrakter Leistungsbereitschaft und konkreter Leistungsfähigkeit werden. Sein sozialer Stolz und seine private Würde begründen sich aus dem Bewußtsein seiner Beitragsfähigkeit zu einer Totalität von steigenden Leistungen. Der Einzelne im Kompetenz-Universum muß sich selber als relativer Souverän in seiner Wirkungssphäre verstehen. Eben dadurch gerät der moderne Einzelne in eine Falle, aus der es kein Entrinnen – zumindest kein direktes – gibt. Die Falle klafft unweigerlich dadurch auf, daß das leistungsstolze Subjekt des Kompetenzsteigerungszeitalters im Gesamtwirbel der Kompetenzspirale nur eine immer kleinere, immer weiter relativierte und spezialisierte Position einnehmen kann. Der moderne Könner kann immer weniger immer besser. Was einerseits gerechter Grund seines existentiellen Stolzes ist, – die aufgeweckte Mobilisierung von Wollen und Können in offenen Horizonten, wird zugleich zum Grund einer fundamentalen und unausweichlichen Demütigung. Die Kompetenzmasse der experimentell mobilisierten Welt im ganzen wächst exponentiell im Verhältnis zu den Lernfortschritten der einzelnen Könnensträger. Je mehr Kompetenz der einzelne erwirbt, umso gewisser ist er Mitspieler in einem Gesamtspiel, in dem sein Kompetenzradius – so groß er sein mag – nichtig erscheinen muß. Dieses Paradox der zugleich steigenden und sinkenden Individualkompetenz bildet den Hintergrund, vor dem sich das System des neuzeitlichen Individualismus entwickelt. Die individualistische Zivilisation steht vor der paradoxen Aufgabe, die Fähigkeiten und Ansprüche der Einzelnen so aufzuwirbeln, daß die ambitioniert aufgestachelten kompetenten Einzelnen nicht in vernichtende Depressionen fallen durch die unvermeidliche Entdeckung ihrer jetzt erst sichtbar werdenden unermeßlichen Inkompetenz in allem übrigen. Individualismus schafft das psychosoziale Reizklima, das die Souveränität der einzelnen zugleich pro-voziert und annulliert. Genau mit der dramatischen Entfaltung dieser Verlegenheit findet das Prinzip Design seinen Ort im System. Denn Design ist – von einem kompetenzökologischen Ansatz her gesehen – nichts anderes als die gekonnte Abwicklung des Nichtgekonnten. Es sichert die Kompetenzgrenzen der einzelnen, indem es dem Subjekt Verfahren und Gesten an die Hand gibt, im Ozean seiner Inkompetenz als Könner zu navigieren. Insofern darf man Design als Souveränitäts-Simulation definieren: Design ist, wenn man trotzdem kann.
Ich denke, es lohnt sich, diesem Sachverhalt ein wenig weiter auf den Grund zu gehen. Dieser liegt, wie man sich nach dem Gesagten vorstellen kann, keineswegs in unmittelbarer Nähe zum manifesten Thema. So wie Martin Heidegger in einem bekannten Diktum darauf insistierte, daß das Wesen der Technik selbst nichts Technisches sei, so muß man im Blick auf unser Sujet deutlich machen, daß das Wesen des Designs selbst nichts Designartiges ist. Ich habe soeben Design als Können des Nichtkönnens definiert, und möchte nun diese Formel mit einigen anthropologischen Überlegungen unterbauen. Die Wurzeln des gekonnten Nicht-Könnens reichen natürlich weit vor die moderne Kompetenzwelt zurück, ja sie durchziehen das gesamte Feld der menschlichen Urgeschichte und der Frühkulturen; in denen driftet der homo sapiens als Werkzeugmacher und Mythenerzähler in Horden und Stämmen durch eine noch weithin technisch unbewältigte und analytisch undurchdrungene Naturwirklichkeit. Für ihn ist das Nichtkönnen, – das Nichtvielmachenkönnen, Nichtvielverändernkönnen in Bezug auf seine Umwelt – zumindest verglichen mit dem Machtradius der Spätkultur – gleichsam seine erste Natur. Nichtsdestoweniger sind die frühen Menschen alles andere als hilflose angstüberschwemmte Opfer einer übermächtigen Außenwelt. Sie sind im Gegenteil lebhafte, erfinderische, hochbewegliche Akteure eines Überlebensspiels, das sie mit großem Erfolg betreiben, auch wenn sie vom Kompetenzhorizont eines mittelmäßigen modernen Individuums nur wie von einem Dasein in göttlichen Vollmachten hätten träumen können. Wenn ihre Lebensformen aus heutiger Sicht als schiere Ohnmachtskulturen erscheinen, so haben wir es mit einer optischen Täuschung zu tun. In Wahrheit sind moderne Subjekte wegen der breiten Entfaltung ihres Kompetenzenfächers viel mehr ohnmachtsgefährdet als die vorgeschichtlichen Menschen. Sie riskieren öfter und an vermehrten Fronten ihr Scheitern durch Inkompetenz zu erfahren. Der Frühmensch hingegen profitiert davon, daß er zumeist fast alle Griffe kann, die er zu seinen persönlichen und sozialen Selbsterhaltung braucht, während er alles, was nicht gekonnt werden kann, im Schutz von Ritualen mehr oder weniger routiniert übersteht. Nehmen Sie an, die Sintflut fällt unter Blitz und Donner vom Himmel auf Ihr Blätterdach, dann können Sie, wenn sich das Unwetter überhaupt überstehen läßt, es besser überstehen, wenn Sie ein Lied für den Wettergott rezitieren. Es ist nicht wichtig, daß Sie selber Wetter machen können, – auch die modernen Techniken reichen noch nicht ganz bis dorthin -, sondern daß sie eine Technik kennen, bei schlechtem Wetter in Form zu bleiben; es muß in Ihrer Kompetenz liegen, auch dann etwas zu tun, wenn man ansonsten nichts tun kann. Nur wer weiß, was man tut, wenn nichts zu machen ist, verfügt über hinreichend effiziente weiterlaufende Lebensspiele, die ihm dabei helfen, nicht in auflösende Panik oder seelentötende Starre zu verfallen. Gekonntes Nichtkönnen stiftet eine Art Leerlaufverhalten oder einen Parallelprozeß, in dem das Leben auch in Gegenwart des Ohnmächtigmachenden weitergehen kann. Ich verwende für solche Parallelprozesse den religionswissenschaftlichen und ethnologischen Ausdruck Ritual. In Ritualen spüren die Menschen der Frühzeit den existentiellen Boden unter den Füßen; Riten scheinen der Stoff zu sein, aus dem die Kohärenz der Welt gemacht ist. Zwar konnten auch die frühen Menschen nicht ganz dessen gewiß sein, ob die Sonne wirklich deswegen aufgeht, weil sie schon vor ihr wach waren und ihren Aufgang mit einem Rundtanz förderten; aber sie waren auf diese Weise den Dämonen der Morgendämmerung gewachsen und konnten sich rituell in ihren Tag hineinspielen und ihre mythische Identität als Kinder des hellen Gestirns und der dunklen Erde bewahren. Die Lücke, durch die Ohnmacht, Panik und Tod ins Leben eindringen, wird von archaischen Zeiten an durch Rituale geschlossen. In diesem Sinn darf man von der Geburt des Designs aus dem Geist des Rituals sprechen. Denn wenn auch Design im exakten Sinn des Wortes eine unverkennbar moderne Erscheinung ist, und sich eher an Dingen als an Gesten manifestiert, so ist sein gestisches Substrat, das Können im Ungekonnten, das Informbleiben inmitten des Formzersetzenden, doch präfiguriert in der uralten Geschichte jener gestischen und symbolischen Parallelhandlungen, die wir auch heute noch Rituale nennen. Ohne selbst ursächlich auf die Ereignisse in der autonomen Umwelt einzuwirken, halten Rituale die Lebensvollzüge ihrer Praktikanten zusammen und besitzen in diesem wohlverstandenen Sinn die Macht, eine ansonsten nicht zu meisternde Welt in Ordnung zu bringen. Extra ritum nulla salus. Vor allem für die unverfügbaren Schwellenereignisse des Lebens – insbesondere beim Tod von nahestehenden Menschen – haben auch viele moderne Individuen noch Reste von Ritualkompetenz bewahrt; diese erlaubt es ihnen, parallel zum nicht-beherrschbaren Ereignis die Fortsetzung ihres Lebensspiels durch Minimalschemata des richtigen Weitermachens und Darüberhinwegkommens zu bewerkstelligen. Ähnliches läßt sich auch für Geburten und Geburtstage, Hochzeiten und Trennungen, sowie für Jahreswechsel und Jubiläen sagen. Sie sind von Ritualresten unterfütterte Schwellen, deren Überschreitung ein Minimum an formaler Fitness erforderlich macht. Das Ritual, als elementare Spielregel und soziale Formquelle, liefert das hierzu notwendige gestische Repertoire.
Von hier aus ist die Rückkehr zu den aktuellen Gestalten des design-getragenen Inkompetenz-Managements nicht allzu schwierig. In der Not nimmt auch der Teufel den Farbeimer in die Hand. Als in den 70er Jahren auf dem Flugplatz von Athen eine Maschine der Suisse Air abgestürzt war, kam es neben den selbstverständlichen Bergungsmaßnahmen für die überlebenden und toten Passagiere auch zu der bedenkenswerten Anordnung seitens der Fluggesellschaft, daß das hoch aufragende Heck der zerbrochen am Boden liegenden Maschine mit dem allzu sichtbaren weißen Kreuz auf rotem Grund von einem Flughafenarbeiter auf der Stelle übermalt werden sollte. Man mag das Erste Hilfe für ein verunglücktes Firmenzeichen nennen. Sie läßt mit einiger Präzision erkennen, was Design im Extremfall will und kann: die Heckübermalung ist ein Beweis dafür, daß man noch immer etwas tun kann, wenn nichts mehr zu tun ist.
Aber es wäre frivol, die Design-Frage ausschließlich von Inkompetenzkatastrophen der erwähnten Art her zu entwickeln. Kompetenter Umgang mit Verhältnissen und Geräten, für die man nicht recht kompetent sein kann, macht ja einen übergroßen Teil des modernen Berufslebens und Freizeitalltags aus. Alle technischen Systeme, die auf der Basis von höherer Feinmechanik, von Verbrennungstechnik, von Nukleartechnologie, von Elektrik und Elektronik funktionieren, sind für die durchschnittlichen Benutzer völlig undurchsichtige Größen. Nichtsdestoweniger ist unser Leben alltäglich längst in den Umgang mit solcher Technologie installiert. Die Basismaschinen der gegenwärtigen Welt, die Uhren, die Automobile, die Computer, der Gerätepark der Unterhaltungselektronik, die höheren Werk-zeuge und dergleichen – sie sind allesamt für die absolute Mehrheit der Benutzer nur glitzernde Oberflächen, deren Innenwelten unmöglich zu betreten sind, es sei denn dilettantisch und zerstörerisch. Nach traditioneller Rhetorik würde man hier von Büchern mit sieben Siegeln sprechen, in zeitgenössischer Sprache heißen solche undurchdringlich komplexen Blöcke in der Umwelt der Benutzer schwarze Kästen. Infolge der technologischen Revolution ist die Lebenswelt der Individuen vollgestellt mit solchen Gerätschaften, die zu zauberanalogen telepathischen Operationen ermächtigen – wie Fernhören, Fernsehen, Fernsprechen, Fernsteuern, Fernlesen – allesamt Leistungen, die sich auf dem Benutzer abgewandte apparatinnerliche Prozesse stützen. Design kommt unweigerlich überall ins Spiel, wo der schwarze Kasten dem Benutzer eine Kontaktseite zuwenden muß, um sich ihm trotz seiner internen Hermetik nützlich zu machen. Design schafft den dunklen Rätselkästen ein aufgeschlossenes Äußeres. Diese Benutzeroberflächen sind gleichsam die Gesichter der Boxen, genauer: das Make-up der Maschinen; sie simulieren eine Art von Verwandtschaft zwischen Mensch und Kasten und flüstern dem Benutzer Appetite, Berührungslüste, Handlichkeitsempfindungen und Initiativen ein. Je unbegreiflicher und transzendenter das Innenleben des Kastens ist, desto auffordernder muß das Kastengesicht dem Kunden ins Naturgesicht lächeln und ihm signalisieren: du und ich, wir können es miteinander; ich drücke in meiner PVC-Physiognomie meine ungeheuchelte dienstbereite Sympathie für dich aus. Durch Design läßt sich die Überzeugung stiften, daß ein Mann und sein Trockenrasierer Mannschaftskameraden sind, kaum anders als die Hausfrau und ihr Lavamat. Design schafft bei komplexem Gerät jene Fassade aus Zeichen und Berührungspunkten, an welcher der Benutzer ohne spürbare Demütigung durch seine evidente Inkompetenz fürs Innere sein Spiel anschließen lassen kann. Aus der Benutzerperspektive muß Unwissen Macht werden können. Ich telefaxe, also bin ich. Das Universum des Produktdesigns dreht sich weitgehend um das sensitive Sujet des Dienstes am Kompetenz-Bedarf strukturinkompetenter Benutzer. Ein Kunde ist aus solcher Sicht immer ein Idiot, der Souveränität kaufen möchte. Und der Designer liegt – in strategischer Allianz mit den Herstellern und den Experten für das Innere der schwarzen Kästen – immer auf dem Sprung, um neue Wendungen auf dem Souveränitätsmarkt hervorzubringen oder nachzuvollziehen. Als Benutzer von undurchschauter Technologie ist der moderne Kunde ein ins Alltägliche abgesunkener Scharlatan – ein Illuminist mit Kippschalter und Dimmer, ein Telepathiekünstler mit dem Faxgerät, ein kinetischer Gaukler am Steuer eines Wagens, ein Levitationsmeister im Linienflugzeug. Und insofern all diese dunklen technischen Objekte ohne den Beitrag von Designern nicht wären, wie sie sind, kann man den Beruf des Designers als den eines Scharlatanenausstatters bezeichnen – er liefert Alltagsscharlatanen wie mir und Ihnen und jedermann das Zubehör für ihre fortlaufenden Souveränitäts-Simulationen. Umgangssprachlich nennt man dieselbe Leistung Mithilfe zur Lebenserleichterung. Dieser Dienst hat Vorbilder und Verwandte in einer Sphäre, die dem technischen Element ganz fern, ja entgegengesetzt zu sein scheint – bei den Rhetorik- und Grammatiklehrern der Antike und den Tanz-und Manierenlehrern aristokratischer Zeiten. Beide lieferten Trainings in sprachlichen und körperlichen Haltungen, die den Individuen auch in bodenlosen Situationen den Absturz in Sprach- und Haltlosigkeit ersparten. Wenn kein Wort mehr passend ist, ist immer noch ein Wort am Platz; wo aller Halt verlorenging, ist immer noch gute Haltung möglich. Design wiederholt diese Ausstattung mit Souveränitätsmitteln im Horizont einer technologischen Zivilisation; es liefert das technische Zeug zur Macht für Menschen, die versuchen, in der ungeheuren Machtsteigerungsspirale der Gegenwart nicht nur als ohnmächtige Kompetenz-Marionetten vorgeführt zu werden. Ob dieser Versuch gelingen kann, darüber streiten heute die humanistischen und die technizistischen Parteien der Kulturkritik.
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Nachdem von der Geburt des Design aus dem Geist des Rituals die Rede war, muß von einer zweiten spezifisch modernen Quelle der Design-Zivilisation gesprochen werden. Die moderne Welt als Experimentalkultur ist in ihrem Betrieb der praktische Vollzug der Überzeugung, daß Dinge nicht Wesen oder Kreaturen sind, sondern Funktionen oder verstofflichte Handlungen. Wären Dinge Wesen aus eigenem Recht und Ursprung – gewissermaßen Dinge von Gottes Gnaden -, so wäre der Versuch, Hand an sie zu legen, latent oder manifest blasphemisch; jedes Design – sofern Design Neuzeichnung von Dingen meint – wäre dann ein Aufstand gegen die anerschaffene oder naturgeborene Essenz. Sind Dinge jedoch Träger von Funktionen, so sind sie durch kein Ursprungssiegel geschützt und geheiligt und stehen von ihnen selbst her einer ständigen Verbesserung und Neuschöpfung offen. In diesem Sinn ist Design als Haltung und Beruf im elementaren Revisionismus der pragmatischen Modernität verankert; Revisionismus aber ist Meliorismus, Neumachen meint Bessermachen. Design ist also die Vollzugsform des Funktionalismus – wer Design betreibt, bekennt sich als praktizierenden Funktionalisten, er ist Täter des Verbs Funktionieren, Apostel des in alle Welt hinausgesandten Glaubens an den Vorrang der Funktion vor Struktur und Wesen. Treten wir einen Schritt von solchen Selbstverständlichkeiten zurück und fragen nach dem Sinn dieser allzu einleuchtenden Ausdrücke, so gelangen wir auf ein Feld, wo der Zusammenhang zwischen dem Ding und seiner Funktion oder der Funktion und ihrem Ding in einer durchaus zwielichtigen Weise sichtbar wird. Martin Heidegger hat in seiner berüchtigten dunklen Rede über “das Ding” die hier gestellten Fragen am Beispiel eines Kruges erläutert. Die Funktion des Kruges – darüber sind nicht viele Worte zu verlieren – zeigt sich in seiner Eignung zu der Aufgabe, in seinem hohlen Innern Wasser oder Wein zu fassen und zum Ausschenken zur Verfügung zu stellen – deswegen vereinigt er in seinem Aussehen notwendigerweise die drei Merkmale Hohlbauch, Griff und Schnabel. Die Funktion des Dings wäre demnach einfachhin dessen Dienst oder Nutzen. Vom diesem Beispiel her gedacht sind Dinge allgemein gesprochen nützliches zuhandenes Zeug. Aber als dienendes Zeug sind Dinge zugleich auch diskret souveräne Geber – Gebe-Wesen sozusagen in den Händen von sterblichen Lebewesen. Dies zeigt sich am Krugbeispiel besonders klar. Der Krug ist von Amts wegen zum Ausschenken da, sodaß sich an ihm ohne Umschweife verdeutlicht, wie dieses Ding, indem es dient, zugleich auch schenkt. Man muß zugeben, daß Heidegger zurecht keinen Grund sah, vor der Aussage zurückzuschrecken, das Wesen des Kruges sei das Schenken. Von hier aus ist es nur ein Schritt zu dem ding-ontologischen Hauptsatz, das Wesen des Dings überhaupt sei das Ge-Schenk. Wir erreichen mit diesem überraschenden Theorem ein doppeltes Dingverständnis – eines, das den funktionalen Dienst des Dings an den Anfang stellt, und von diesem her auf den Menschen als Herrn und Nutzer kommt, und eines, das vom Geschenkcharakter des Dings ausgeht und den Menschen als Empfänger von Gaben der Dinge kennzeichnet. Die zweite Auffassung ist nach Tenor und Logik natürlich in einer vormodernen Welt- und Seinsauslegung zu Hause, weil sie dem Subjekt – statt seinen Willen zur Mehrkompetenz zu bedienen – seine fällige Dankbarkeit gegenüber den sich schenkenden Dingen in Erinnerung ruft. Sie markiert die Position des Anti-Designs schlechthin. Wer sie sinngetreu in die Tat umsetzte, wäre kein souveränitätssuchender kompetent-inkompetenter Benutzer von Zeug zur Macht, sondern ein Meditierer und ein dingfrommer Empfänger von Geschenk im Gewand von Werkzeug, Stoff und Lebensmittel. Cum grano salis entspräche dies einer katholischen Handwerks- und Bauernphilosophie; für diese beginnt jeder Gebrauch von Werkzeugen oder Apparaten rechtens immer mit einer Dingandacht, so wie das Essen mit einem Tischgebet.
Auf diese Weise ist noch kein Designer entstanden. Designer mögen alles mögliche von sich halten, sie sind jedenfalls keine Handlanger Gottes und keine Arbeiter im Weinberg des Seins. Ein Designer kann sich nie nur als Kurator des schon Vorhandenen verstehen. Alles Design entspringt aus einer Anti-Andacht; es beginnt mit der Entscheidung, die Frage nach der Form und Funktion der Dinge neu zu stellen. Souverän ist, wer in Formfragen über den Ausnahmezustand entscheidet. Und Design ist der permanente Ausnahmezustand in Dingformangelegenheiten – es erklärt ein Ende der Bescheidenheit gegenüber überlieferten Dingverfassungen und manifestiert den Willen zur Neufassung aller Dinge aus dem Geist eines radikalisierten Fragens nach der Funktion und ihrem Herrn und Nutzer. Jedem Funktionalismus wohnt ein dingstürmerischer Funke inne. Während man beim Geschenk nicht an den Preis zu denken hat, ist das Designer-Ding von Anfang an für Preisfragen und Revisionen offen: statt das Ding zu nehmen, wie es sich gibt, stellt das Design die Funktion an den Anfang und macht aus dem Ding eine variable Erfüllung der Funktion. Design ist möglich, weil und insofern der Satz gilt, daß jedes Ding seinen Preis hat.
Man muß die Geschichte vom Aufstieg des Designs zum fast unumschränkten Machthaber über die Neufassung von Dingen natürlich auch in einer ökonomischen Tonart erzählen. Denn was hier im ontologischen Jargon als Ding bezeichnet wurde, heißt ökonomisch unmißverständlich Ware. Ein Ding, das Wert trägt, ist ein Gut. Wenn ein werttragendes Ding auf den Markt gebracht wird, um dort mit anderen Dingen gleicher Orientierung zu konkurrieren, so wird die Ware, wenn sie erfolgswillig und erfolgsfähig ist, im Wettlauf mit ihresgleichen zum vergleichsweise besseren Gut – mit einem Wort, sie wird vom Gut zur Besserung. Dies scheint fürs erste nur ein Wortspiel zu sein – ist aber für den zweiten Blick der gültige Begriff für das dynamisierte Wertobjekt. Das zur Besserung gesteigerte Gut als erfolgsuchendes werttragendes Ding ist seiner dynamischen Seinsweise auf dem Markt gemäß von sich her schon eine Sache, die den Vergleich sucht, um ihn zu ihren Gunsten zu bestehen. Man könnte sagen, sie gehorcht dem kategorischen Komparativ: Präsentiere deine Erscheinung auf dem Gütermarkt immer so, daß das Motiv deines Daseins jederzeit als Ausdruck und Anreiz des Strebens nach Besserung verstanden werden könnte! Weil nun gerade Design-Güter per se als Verkörperungen des Anspruchs auf Vorzüglichkeit gegenüber konkurrierenden Gütern hervorgebracht werden, sind sie sozusagen die real existierenden Komparative der Dinge. In der modernisierten Warenwelt gibt es – idealtypisch gesprochen – der Tendenz des Marktverlaufs nach keine statischen Güter mehr, sondern nur noch Besserungen – keine stabilen Qualitäten, sondern nur Überbietungs- und Steigerungswaren. Die revisionistische Ding-Auffassung im Design artikuliert sich genau am Schnittpunkt zwischen Experiment und Konkurrenz, zwischen Funktionsverbesserung und Verwertungsverbesserung. Zu diesen beiden Verbesserungen tritt eine dritte hinzu, wenn man berücksichtigt, daß ein Design-Ding selten, ja nie allein kommt. Jedes einzelne Design-Objekt profitiert von Nachbarschaften zu seinesgleichen – es nimmt von ihnen einen atmosphärischen Mehrwert auf, der von der Familienähnlichkeit mit verwandten optimierten, stilisierten, neugedachten, weitergedachten und zugespitzten Produkten, also Besserungen herrührt. Von Besserungen-Gruppen handelt die kritische Theorie des Sortiments. Aber ob im Ensemble oder als Einzelstück aufgefaßt, nach der Verjüngung im Design ist das Ding immer ein komparatives Objekt – es ist der Nachfolger eines abgelösten oder überbotenen Dings, Ergebnis einer nach vorne offenen Optimierungsgeschichte. Wenn der Designer als homo aesteticus und psychologicus, wie gesagt, ein Zulieferer für Souveränitäts-Simulationen ist, so ist er als homo oeconomicus der Ausstatter für Güter auf dem Weg zur Besserung; er ist der Mann des unbedingten Komparativs, – Entwicklungshelfer für aufstrebende Dinge. Man könnte ihn als Generalisten für Ding-Revisionen bezeichnen. In dieser Eigenschaft fungiert er als Zeugmeister für die Machtkämpfe der Eigentümer an variablem Kapital, das in Gestalt von Besserungswaren zirkuliert. Und in dem Maß, wie der aktuelle Weltmarkt tatsächlich Besserung honoriert, wird Design nicht nur zu einem Erfolgs-Faktor unter anderen, sondern mehr noch zum Grundelement und zur Nährlösung für den modernisierten, das heißt klügergemachten Erfolg überhaupt.
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Nach Ritual und Kapital ist eine dritte Quelle zu nennen, aus der das Design im aktuellen Machtraum Bedeutungen ansaugt. Das Stichwort lautet angewandte Kunst. Ich möchte hier keine Exkursion in die Sumpflandschaften von Theorien moderner Kunst beginnen. Auch den marxistischen Klassiker Warenästhetik und den liberalen Schlager Konsumästhetik will ich hier unberücksichtigt lassen. Ich spreche also nicht über “die Rolle des Ästhetischen bei der Scheinlösung von Grundwidersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft” – wir sind nicht mehr in den 70er Jahren. Ich setze voraus, daß bekannt ist, wie Designer als Maskenbildner der Waren mitwirken an der Erwirtschaftung eines Aufmachungsmehrwerts; auch daß Scheinbesserungen, Vortäuschung von Qualitätsdifferenzen, Erzeugung der Illusion von Auswahl beim Kunden seit langem problematische Domänen von Design als angewandter Kunst auf Abwegen darstellen, ist eine Prämisse, die ich hier ohne weiteren Kommentar in Ansatz bringen darf. In einer Identitätskultur wird Differenz notwendigerweise zur knappen Ressource.
Was angewandte Kunst angeht, so ist sie, wie jeder weiß, nicht nur ein Kontakthof für Begegnungen zwischen Schönheiten und Techniken, sondern auch ein Inbegriff von Verfahren, den Schein des schönen Lebens zu regenerieren. Insofern besitzt die angewandte Kunst einen privilegierten Zugang zu den Traumfabriken, ohne deren Beitrag die komplizierte psychopolitische Maschinerie moderner Massengesellschaften nicht in Gang gehalten werden könnte. Modernität ist ja, wie sich inzwischen auch bei Ideologiekritikern herumgesprochen hat, nur ein anderer Name für die Verlegenheit, zwischen Abbau und Aufbau von Illusionen eine Balance finden zu müssen. Design als angewandte Kunst ist darum immer auch ein Regulator in der subjektiven Ökologie der individualistischen Zivilisation; es klimatisiert nervöse Großgesellschaften und wirkt mit an der Feineinstellung von Illusions- und Elan-Systemen. Es motiviert und tonisiert die Spieler in den Gewinnspielen der Leistungs- und Erlebnisgesellschaft, indem es die Prämie Souveränität samt ihren Simulationsmitteln so breit ausschüttet wie irgend möglich. Alle sollen Zugang zu Gewinner-Gefühlen haben, – so lautet die Regel für inklusive Spiele. Solange im avancierten Illusions-Design demokratische Konzepte Regie führen, wird der technologische Fortschritt sich immer auch als Gewinnspiel für viele, wenn nicht alle präsentieren. So hat die französische SNCF ihre Hochgeschwindigkeitszüge-Politik ins Volk getragen mit dem Slogan: Le progrès ne vaut que s’il est partagé par tous. Auf der Kehrseite dieses generösen Illusionismus wächst jedoch eine harte Nüchternheit heran. Deren Zeichen spuken durch alle Medien, und die Trendpresse sendet seit langem nur noch auf dieser Welle. Angewandte Kunst – mit neuer Illusionslosigkeit in exklusiven Spielen kombiniert – ergibt die Modernisierung des Egoismus, und dieses Ergebnis aus dem neuem massenhaftem self-designing ist es, was einen kalten Zug ins postmoderne Illusionen-Treibhaus des Westens vor dem Jahr 2000 bringt. Design als auf das Ego angewandte Kunst erzeugt an ihrem smarten Träger ein hochaktuelles Kompetenzbündel aus Tempo, Information, Ironie, Geschmack und zweiter Rücksichtslosigkeit. Die vormalige Avantgarde-Idee, das Leben des einzelnen selbst zum Kunstwerk zu machen, hat nun, mit einer Verzögerung von kaum drei Generationen, die Basis erreicht. Was man life-style nennt, ist der Durchbruch von Design auf die Ebene der Selbststilisierungen und der Biographien. Das Individuum greift jetzt nach der Kompetenz, sich selber als Kompromiß zwischen Kunstwerk und Maschine auszuführen – etwa nach dem Vorbild von Andy Warhol, der längst weltweit als Patriarch des designgestützten Neo-Individualismus rezipiert wird. Von ihm haben nachrückende Generationen gelernt, daß Souveränität ein Effekt aus der Investition von Energie in flache Prozesse ist. Und insofern das Individuum im Design-Zeitalter selbst der Operator von flachen Prozessen am eigenen Leib werden will, dürfen wir uns darauf gefaßt machen, in eine neue psychosoziale Ära hineinzusteuern, ja vielleicht sogar auf einen anthropologischen Quantensprung zu. In der Folgezeit muß es, wenn das Trendbild nicht trügt, zu einem Gestaltwandel in der tradierten menschlichen Imago kommen, bis hin zur Neuprägung von psychophysiologischen und neuronalen Prozessen. Es hat den Anschein, als sollte ein Typus von homo semioticus den hochkulturellen homo psychologicus ablösen; die manifesten Träger dieser Entwicklung sind bereits volljährig, unsere Kinder, unsere Mutanten; bei ihnen würde die klassische “tiefe” Trias von Psyche, Erinnerung, Innenwelt ersetzt durch die neue flache von Operator, Speicher, Bildraum. Die “Seele im technischen Zeitalter” könnte so etwas werden wie ein lebender Cursor in turbulenten Ereignisräumen – ein Cursor auf der Suche nach seinem Curriculum, ein Läufer auf der Suche nach einer Bahn, die seine “eigene” wäre.
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Wie immer man über solche Tendenzvermutungen urteilen mag, – auf jeden Fall ist Design in allen seinen drei Stämmen in eine Art von psychopolitischer Titanenschlacht verwickelt, in der Hoffnungskräfte und Verzweiflungskräfte wie zwei Weltmächte oder Atmosphäre-Ganzheiten miteinander ringen. Insofern ist mit dem Kollaps des Kommunismus keineswegs ein Ende dessen erreicht, was man die bipolare Ära genannt hat. Man kann allenfalls sagen, daß der überflüssige Titanenkampf, die Ost-West-Bipolarität, verschwunden ist, um Platz zu machen für den notwendigen Titanenkampf, – den menschheitsweit schicksalhaften Streit zwischen der Zuversicht, samt dem, was ihr Gründe gibt, und der Verzweiflung, samt dem, was sie nährt und zuspitzt. Es ist der Kampf um die Lebensgründe einer Menschheit, die im Zuge ihrer Modernisierung lernen mußte, ihre Verhältnisse mit nüchternen Augen anzusehen. In dieser Bipolarität haben alle Arbeiten und Künste der Gegenwart ihren Ort; in der Schlacht der Motive, die Hoffnung gründen oder in Verzweiflung treiben, kommen die Lebensantriebe der aktuellen und künftigen Generationen zu sich – oder lösen sich in ihr auf zu nichts. Dieses psychodynamische Endspiel der Gattungsintelligenz ist von den Medien weithin unbegriffen, obwohl sie allesamt längst wie Kombattanten im Nebel durcheinanderschreien; es ist von den politischen Klassen kaum erfaßt, obwohl sie selbst längst in mehr oder wenigen wirren Manövern auf dem Schlachtfeld operieren. Kein Institut für strategische Studien hat je über den Verlauf des ultimativen psychopolitischen Dramas ein Wort verloren, geschweige denn eine These über seinen Ausgang gewagt. Auch über der Intelligenz liegt ein merkwürdiger Bann, der sie daran hindert, ihr Weltzeugenamt in gehöriger Weise wahrzunehmen. Offenbar ist es für Menschen unserer Zeit noch immer zu schwer, inmitten einer Titanenschlacht zugleich Kombattant und Beobachter zu sein. Wer sieht, so scheint die Regel zu lauten, der kämpft nicht, und wer kämpft, der sieht nicht. Und doch wäre ein sehendes Kämpfen und ein kämpferisches Sehen an der Zeit – vor allem deswegen, weil kaum jemand noch weiß oder wissen kann, auf welcher Seite der Schlacht er oder sie eigentlich angeworben wurde. Das ist Rahmen für die heute allenthalben wahrgenommene Krise der Visionen. Die Sicht als solche ist im verworrenen Titanenkampf getrübt. Des einen Grund zur Zuversicht ist des anderen Verzweiflung; des einen Verzweiflung ist des anderen Grund zur Zuversicht. Auch die letzte Bipolarität hat ihre toten Räume und Niemandsländer; zwischen den Fronten irren die Doppelagenten hin und her, und die Szenarien des Tiefenweltkriegs verbergen sich hinter Wolken von Mehrdeutigkeit. Wo aber Ambivalenz herrscht, ist Design nicht weit. Designer sind auch Maskenbildner für bodenlose Zuversicht und Schöpfer von Simulationsmitteln für trügerische Hoffnungen und falsche Auswege. Sie sind die Kerntruppe der Doppelagenten in der Titanomachie, indem sie mit der Zuversicht am Neuen und Zukunftsfähigen arbeiten und mit der Verzweiflung in Selbsterhaltungspanik blind die immergleichen Pfade rennen. Sie geben beiden Seiten recht und rüsten beide mit Zeichen und Geräten aus. Als Mitglieder der unentschiedenen Klasse par excellence sind die Designer zugleich Lieferanten von Spielzeug für letzte Menschen und Erfinder von Werkzeug, das sich in Zukunftswerkstätten bewähren soll. Aber die Unentschiedenheit der Designer ist nicht bloß Laune oder private Schwäche, sie spiegelt die mentale Verfassung aller Kompetenzträger im aktuellen Weltaugenblick wieder. Sie zeigt, daß wir zur Zeit nicht wissen, mit welchen Kompetenzen man ausgestattet sein müßte, wollte man der Verzweiflung keine weiteren Gründe in den Dingen liefern.
[…] Ein vollständiges Transkript des Vortrags findet man hier: http://www.designkritik.dk/peter-sloterdijik-das-zeug-zur-macht/ […]
desginkritik mal anders (metaebene on): diese Textwüste les’ ich nicht – intellektuelle Kost dieser Länge braucht bitte mehr Raum und line spacing! Sollten eigentlich basics sein und einer Kritik hier nicht bedürfen…(metaebene off)
Hallo Christoph – du hast völllig recht! Danke für die Lesemühen…oder kopiere es Dir heraus. Wir suchen dringend jemanden mit Elan, der Lust hat, unsere Website technisch zu betreuen und strukturell weiterzuentwickeln. Der Relaunch müsste dringend in die Hand genommen werden.
„Was er spricht, spricht er gut, und wer kein Deutsch versteht, muß glauben, er habe etwas Gutes gesprochen.“
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)