Training for Exploitation – Workbook
Politicising Employability & Reclaiming Education Das 96-seitige Arbeitsbuch bietet Materialien für Lehrende, vor allem in kreativen Fächern und klärt über "Employability", Professionalität und Praktika auf.
22.03.17 0 KommentareKreativwirtschaft ist ein gefeierter Heilsbegriff, der in den letzen Jahren auch das letzte Dorf erreicht hat. An das Wort knüpfen sich die Erwartungen, an florierende Städte, in denen Immobilien wertvoller, Innovationen disruptiver, Investitionen umfangreicher werden.
Ha!
Der kreative Imperativ hat bewirkt, dass die gesamte Gesellschaft dem Motiv der Selbstoptimierung nacheifert – Aussehen, Fähigkeiten, Wissen, Lebensqualität: Es liegt in Deiner Hand! – Und kreativ zu sein, gehört mittlerweile zu den Erwartungen an ein gelungenes Leben, dabei treffen selbst Laien in einem Umfang Designentscheidungen und haben Technologien zur Verfügung, die ein Designstudium für manche sogar überflüssig machen.
Design ist mitten in der Gesellschaft angekommen – die Hochschulen bilden nicht mehr nur eine kleine Elite aus, wie damals am Bauhaus oder etwa an der Ulmer Schule, sondern mit knapp 200 Ausbildungsstätten für Design in allen möglichen Schattierungen in Deutschland und den Ausbildungsberufen dazu ist “Irgendwas mit Design” nicht gerade ein Nischenphänomen.
Wer aber in dieser Arbeitswelt unglücklich ist, zeige eben nicht genug Leidenschaft und immer noch ist es Ehrensache unter DesignerInnen, dass Nachtarbeit, Überstunden, unbezahlte Praktika als legitimer Ausdruck von genug Leidenschaft gelten. Und wer hat behauptet, man könne sich eine Familie leisten? Wer kennt überhaupt Design-Unternehmen, in denen irgendeine Art von Lernen passiert, ist nicht sogar das Schöpfen aus dem Vollen der jungen Talente typisch für die Branche?
Gleichzeitig prangern die Design-Berufsverbände seit Jahren an, dass die DesignerInnen selbst den Markt für Ihre Leistungen durch Dumpingpreise selbst kompromittieren und bieten Betriebswirtschaft-Kurse an. Kurz: Wir selbst sind Produkte im Wettbewerb und für das Versprechen der Kreativität lassen wir gerne jede Solidarität vergessen. Employability ist für die Hochschulen zum bestimmenden Ziel der Lehre geworden, das Bestehen im Markt – egal unter welchen Regeln. Fight or Flight wie es so schön heißt: Die Harten kommen in den Garten. Wer nicht gut oder hart genug ist, kann eben nicht mitmachen – vorbehaltlich, dass jemand anders festlegt, wie so ein Leben auszusehen hat.
Soziologen wie beispielsweise aktuell Andreas Reckwitz haben diese Phänomene des Spätkapitalismus bereits treffend analysiert und den Kreativen, besonders den Designer, als Sozialtypus der Spätmoderne identifiziert.
Studierende hassen Reckwitz! Zu schwer zu lesen, sagen sie.
Pech für mich als Lehrende: Alle Theorie, die glühenden Manifeste und klugen Analysen führen statt zu Selbstbestimmung oft zur Lähmung.
Das Buch Training for Exploitation von der Precarious Workers Brigade ist eine geniale Hilfestellung für Lehrende und Lerngruppen in kreativen Feldern: Denn im Gegensatz zu anderen kritischen Texten führt das Buch unter dem Motto Politicising Employability & Reclaiming Education mit handfesten Übungen und Aufgaben in konkrete Handlungen. Wie kann man sich über ungerechte Arbeitsverhältnisse erkundigen? Wie führt man ein Gespräch mit dem Chef? Was bedeuten Jobausschreibungen? Welche Prioritäten setze ich in meinem Arbeitsleben?
Das Buch betrachtet die Lage aus der britischen Perspektive, die unserer an Härte einiges Voraus ist: hier sind Studierende im Gegensatz zu Deutschland mit hohen Studienkrediten belastet, und die Lage des Mittelbaus an den Hochschulen höchst prekär, aber das nimmt dem Buch nicht seine Verdienste, sondern die Lektüre bewahrt uns womöglich vor dem nächsten Schritt ins Verderben.
Sprache: Englisch. Also soviel muss man mitbringen. Aber die Einführung ist kurz und bündig und leitet schnell über zu dem praktischen Teil, in dem Gruppenübungen für unterschiedliche Settings und Kursinhalte und Vorlagen zum solidarischen Lernen und Handeln in der Arbeitswelt Kreativwirtschaft anregen.
Denn Solidarität, so Silvia Federici im Vorwort, bleibt im wettbewerbsgetriebenen Hochschulgeschehen schnell auf der Strecke, weil gelehrt wird, nicht nur auf die Anforderungen des Berufslebens einzugehen, sondern sie mit dem ganzen Sein zu verkörpern. Dieses unterordnende Verhalten, dazu die Praktiken unbezahlter Arbeit und des gesteigerten Individualismus ersticken jede Solidarität und Kollegialität im Keim, so Federici.
Wach’ auf! möchte man den gerade mit bunten Post-its beschäftigten Designern zurufen: Empathy nur im Hinblick auf Produktentwicklung zu verstehen, ist eben manchmal so gar keine Empathie im Sinne eines Mitfühlens. Solidarität bedeutet hingegen das zusammenstehen – auch wenn jetzt einige die Augen rollen – vor allem ohne Gegenleistung.
Das Buch ist gar nicht gegen die Nähe zu Markt und Arbeitswelt – nur gegen das Hinnehmen von Praktiken, die auf lange Sicht niemandem nutzen. Denn wenn das prekäre System zum Berufseinstieg erst einmal steht (siehe Architektur mit jahrelangen meist unbezahlten Praktika, die man braucht um in die Architektenkammer zu kommen), repliziert es sich im Nu von selbst. Es gibt nämlich durchaus Momente, in denen der Job nicht die pure Leidenschaft ist (Spoiler Alert) und die Distanz, die zum neoliberalen Arbeits- und Selbstverwirklichungsnarrativ mit dem Buch hergestellt wird hilft, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, ohne dass man gleich jegliche Inspiration verliert (glaubt mir). Von wegen Revolution: Wer also keine Lust hat, nur abstrakt über die kreative Arbeit zu sprechen, findet hier einen wunderbaren kleinen Leitfaden für Aktion und Debatte.
Ganz ohne linke Theorie kommt man da nicht aus, die Einflüsse werden gelistet und kurz erklärt. Wer eine Allergie gegen die typische Nomenklatur hat, sollte diesen Abschnitt und eventuell auch das ganze Buch bitte einfach überblättern, sollte aber bereits vorgewarnt sein: Das Büchlein kann nicht aus seiner marxistischen Haut – aber was soll’s, wenn der Kapitalismus kaputt ist und alles was bleibt, die Frage nach der Menschlichkeit ist?
Der Text kann einerseits als Buch über die Website bestellt werden (es werden Leute bezahlt) oder eben als PDF kostenlos heruntergeladen werden.
https://precariousworkersbrigade.tumblr.com/TrainingForExploitation
Written by PWB, Foreword by Silvia Federici
Published by Journal of Aesthetics & Protest (JOAAP)
Designed by Evening Class, Printed by Calverts
96 pages, black and white with color cover
http://joaap.org/press/trainingforexploitation.htm
https://precariousworkersbrigade.tumblr.com/TrainingForExploitation
Written by PWB, Foreword by Silvia Federici
Published by Journal of Aesthetics & Protest (JOAAP)
Designed by Evening Class, Printed by Calverts
96 pages, black and white with color cover
http://joaap.org/press/trainingforexploitation.htm