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Weltentwerfen – eine politische Designtheorie

Die Publikation kommt zum richtigen Zeitpunkt:

Trump gewählt, Rechtsruck in Europa – wo sind die Grundannahmen über eine anzustrebende faire und offene Gesellschaft geblieben, wo ist Menschlichkeit noch ein Argument? Und wie kann man vor dieser postmodernen, “postfaktischen” Kulisse überhaupt noch über das kritische Potential von Design sprechen? Gibt es Design noch oder sind es “Designs”, in dem sich nur noch Optionen entscheiden, nicht jedoch Haltungen?

Design ist überall: Nicht nur Gegenstände, Botschaften und Services sind gestaltet, sondern auch das Klima, Prozesse, Flüchtlingslager, das Selbst. Auch wenn nicht überall ausgewiesene DesignerInnen am Werke sind, tritt die Gestaltbarkeit der Welt und die Auswirkungen dieser Gestaltungsprozesse immer stärker in den Fokus. Friedrich von Borries führt in seinem Entwurf einer politischen Designtheorie Thesen ins Feld, die endlich klarmachen, wie im Design zwischen Pragmatismus, Selbsterhalt und gesellschaftlicher Verantwortung agiert werden kann.

Das 120-seitige (sehr gut gegliederte und lektorierte) Manifest führt in 6 Teilen und gut kommentierten Thesen und erhellenden Fußnoten zu einer Topografie von Möglichkeiten und Wirkungen. Eingeführt von einem sorgfältig durchdachten Teil über den Begriff des “Entwerfens” behandelt Borries hauptsächlich vier Wirkungsfelder des Designs: das Überlebens-, das Sicherheits-, das Gesellschafts- und das Selbstdesign.

Verflochtenheit mit der Gesellschaft

Was zunächst nach einem Kopfstand klingt, gelingt zu einer sensiblen und zeitgemäßen Beschreibung von Gestaltung und ihrer Verflochtenheit mit der Gesellschaft. Die vier  Bereiche von Borries’ Theorie machen die politische Dimension des Designs klar; “Politik” meint hier nicht politisches Tagesgeschäft, sondern wie sehr sich Design mit der Gesellschaft, ihren Beziehungen, Verhältnissen und Zielen im Zusammenleben befasst.

Eine Perspektive, die es erlaubt, das Entwerfen selbst als Kritik an Verhältnissen, und sogar am Design selbst, klug einzusetzen. Das was hier mit “Design” gemeint ist, ist nicht auf gestalterische Berufe beschränkt, sondern eben auf ein Bewusstsein über die Wirkung von Entscheidungen, auf ein visionäres und ermächtigendes Handeln.
Hier fasst von Borries gekonnt Perspektiven des Emanzipatorischen und Kritischen zusammen, beispielsweise von Kant, Foucault, Flusser, Bourdieu und Latour. Und so geht es denn auch in der Hauptsache um “entwerfendes” und “unterwerfendes” Design und den Tanz der beiden Momente, die gegenseitigen Vereinnahmungen der beiden Aspekte und den Zwang beider Teile, sich in dem Wettlauf immer wieder neu zu erfinden. Laut Borries fragt jeder Entwurf danach, welche Welt wir wollen.

Jeder Entwurf fragt danach, welche Welt wir wollen.

Diese Formulierung ist natürlich nicht neu und findet sich in vielen Theorien über das Entwerfen – Borries verarbeitet diese allerdings in einer sehr zeitgemäßen Form. Eine Form, die Offenheit zulässt und beispielsweise mit Begriffen wie “porösem Selbst” (“5.7. Aufgabe von Design ist es dem totalen Selbstdesign das Bild eines porösen Selbst entgegenzustellen.” S. 114) agiert und so die verführerischen Sicherheiten, die oft von “Designtheorien” erwartet werden mit Unsicherheiten, ungelösten Problemen in schlaglichtartigen Thesen systematisch abgearbeitet.

Von Borries’ bisher beste Publikation nach zwei Romanen und zwei Sachbüchern kommt in einem Moment, wo der Pragmatismus im Design Einzug gehalten hat und hinter der Erfolgsstory von “Design Thinking” und “Design Research” der Raum für emanzipatorische Praxis, Subversion und Befreiung im Design immer enger wird. Das entwerfende Design, so nennt es Borries, versucht echte Handlungsspielräume für das Leben der Rezipienten und Nutzer von Design zu schaffen, denn entwerfen ist ermächtigend.

Menschlichkeit gegen Verzweiflungssymptome des Kapitalismus

Von Borries agiert weit über die Grenzen der Designszene hinaus, betreibt ein Architektur- und Planungsbüro und war z.B. für den deutschen Pavillon der Architekturbiennale 2008 verantwortlich. Seine Bücher werden deshalb auch eben von Medien wie Zeit und Welt rezensiert, deren Kommentarspalten dann aber zeigen, dass “Weltentwerfen” am besten gewissermaßen aus der Fach-Designtheorie zu verstehen sind, die die durch Borries vorgenommene Ordnung von Begriffen und philosophischen Einflüssen und daher sehr didaktische Herleitung dringend braucht.

Über dieses Buch liefert plastische Argumente für den vernachlässigten, menschlichen Teil der Design-Debatte, es vermag auch Ungesagtes durch seine Form gekonnt einzukreisen. Ein sehr gelungenes Werk zur rechten Zeit über ein Design, das momentan außer Verzweiflungssymptomen des in den letzen Zügen liegenden Kapitalismus (Startup gründen, Design Thinking usw.) wenig zu bieten hat.