Designgeschichte und der Verzicht auf Vergangenheit
Das universitäre Fach der Designgeschichte ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die ehemalige C4-Professur für Geschichte und Theorie des Design an der Bauhaus-Universität Weimar ist seit 2011 vakant. An der Kunsthochschule Saarbrücken hat Prof. Dr. Rolf Sachsse, Professur für Designgeschichte, bereits das Pensionsalter erreicht. An der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle werden – neben der Designtheorie – fachübergreifende Seminare zu Design- und Architekturgeschichte angeboten. Der Trend, Designgeschichte mit Architekturgeschichte, Kunstgeschichte und anderen kulturhistorischen Fächern zu verbinden, mag Geld einsparen, hilft aber keiner der Einzeldisziplinen, schon gar nicht in der Forschung, die fachliche Spezialkompetenz erfordert. Das bringt Wissensnachteile nicht alleine für die praktischen Studiengänge mit sich, es erschwert zudem die postgraduale wissenschaftliche Weiterbildung etwa zum Ph.D. in diesem Fach. An den ehemaligen Fachhochschulen sieht es nicht besser aus.
Anfang 2014 wurde Prof. Dr. Gerda Breuer, 18 Jahre lang Professorin für Kunst- und Designgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal, in den Ruhestand verabschiedet. Ihre Professur wird nicht wieder besetzt, vielmehr soll ihr Lehrgebiet zukünftig von anderen Professuren übernommen werden. Jedoch sind die wissenschaftlichen Professuren im Fachbereich “Design und Kunst” in Wuppertal auf Kunstgeschichte und Mediendidaktik ausgerichtet, da ist interdisziplinär für das Design wenig zu holen. Wie sollen die zukünftigen Industrie- und Kommunikationsdesigner die Geschichte ihrer eigenen Disziplin kennen lernen? Die Auseinandersetzungen um Sachlichkeit und Funktionalismus, um Moderne und Postmoderne im Design – alles vergangen, alles vergessen? Und wo sonst soll Forschung zur Designgeschichte betrieben werden, wenn nicht an den Hochschulen?
Einige Hochschulen besitzen hochwertige Designsammlungen, die von der jeweiligen Professur für Designgeschichte in der Lehre eingesetzt, für Forschung und Publikationen ausgewertet werden. In Weimar wurde die Designsammlung von Horst Michel – bis Ende der 1960er Jahre Professor für Formgestaltung in Weimar und Vertreter der Guten Form in der DDR – nach dem Ausscheiden des zuständigen Professors für Designgeschichte in das „Archiv der Moderne“ der Bauhaus-Universität überführt und dort archiviert. Was aber geschieht mit den ca. 5000 Objekten in der Designsammlung der Wuppertaler Universität, die bisher von der dortigen Professur für Designgeschichte betreut wurde und die ein früherer Rektor der Universität als Beitrag zur Stadtkultur in Wuppertal gesehen hatte? Die Universität will die Sammlung Anfang 2015 der Öffentlichkeit vorstellen und für die Exponate ein „digitales Managementsystem“ entwickeln. Aber wer soll das machen, wenn die zuständige Professur nicht mehr existiert?
An den Hochschulen und Kunsthochschulen, die Design als Studienfach anbieten, kann man ohne gravierende Ausbildungs- und Erinnerungsverluste auf eine Professur für Designgeschichte nicht verzichten, in der die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit – mit dem Deutschen Werkbund, dem Bauhaus und der Hochschule in Ulm – Bezugspunkte für die Gegenwart vermittelt.
Dagegen ist das Fach Designgeschichte in den angelsächsischen Ländern an vielen Universitäten vertreten. Dort wird etwa auch die Geschichte des Designs in der DDR wesentlich stärker thematisiert, während bei uns die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Design immer noch von den Nachwehen des Kalten Krieges beherrscht wird. Designgeschichte ist ebenso gesellschaftlich verankert wie das Design, aber ohne eigene Wissenschaftskompetenz gerät sie zum schiefen Annex anderer Kulturwissenschaften.
Gesellschaft für Designgeschichte e.V., März 2014 Vorstand: Prof. Dr. Siegfried Gronert, Dr. Wolfgang Schepers, Prof. Dr. Petra Eisele Die Gesellschaft für Designgeschichte e. V.
Lieber Herr Stapelkamp,
mit Kunsthistoriker-Bashing kommen wir da nicht weiter. Es wäre eine zu starke Vereinfachung und der Mangel an ausgewiesenen Designtheoretikern wird dadurch nicht behoben.
Übrigens qualifiziert sich nicht jede Reflexion als Theorie. Insofern halte ich, was Sie oben vom Stapel lassen, für so theoriefern wie möglich.
UvL
Antworten an Uwe von Loh:
Mein Kommentar ist zu offensichtlich, als das man ihn nicht nachvollziehen könnte. Es lag wohl doch an der Länge. Versuchen Sie es erneut. Sie schaffen das 😉
Die Kurzfassung meines Kommentars:
Es ist unbestritten, dass es hilfreich wäre, wenn Design-Studierende über ein breites Wissen der Kunst-, Design- und Mediengeschichte verfügen würden.
Leider haben Kunsthistoriker in der Regel keine Ahnung von Design und auch nicht von Medien. Um so erstaunlicher ist es, dass sie für “Designtheorie”, “Designgeschichte”, “Theorie der Gestaltung” und bisweilen sogar für “Medientheorie” berufen werden.
Meine Antwort auf den Kommentar von Uwe von Loh:
Es wäre gewiss hilfreich, wenn Kunsthistoriker, die sich selber eine vermeintliche Eignung unterstellen, im Rahmen einer Design-Studiengangs lehren zu können, eine thematisch relevante Promotion und/oder entsprechende wissenschaftliche Publikationen vorlegen würden. Doch ist dies weder die Regel noch wäre dies hinreichend.
Wer als Kunsthistoriker das bloße Schreiben über Design schon als Theorie und zudem als designrelevante Theorie bezeichnen möchte, soll dies gerne tun, aber nicht erwarten, deswegen uneingeschränkt ernst genommen zu werden.
Kunsthistoriker sind Kunsthistoriker und als solche vielleicht außerordentlich gut und erfolgreich im Bezug zur Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte. Sie sind aber keine Designer, haben keine entsprechende Kompetenz und erwerben diese auch nicht, nur weil sie mal über Design geschrieben haben. Sie sind und bleiben nur Zuschauer.
Design, seine Relevanz und seine Zusammenhänge können erst dann wirklich begriffen werden, wenn man es ausübt und nicht nur gelegentlicher Beobachter der Vergangenheit bzw. Gegenwart des Design ist.
Kunsthistoriker sind und bleiben Fachfremde im Design, die sich bestenfalls selber einreden, in diesem Themenkontext eine Aufgabe haben und in der Designlehre eine Rolle spielen zu können.
Gewiss gibt es immer wieder Ausnahmen. Aber, macht es wirklich Sinn, für Berufungen die Nadel im Heuhaufen zu suchen, wenn bereits bekannt ist, dass im Suchumfeld nur in seltenen Ausnahmefällen geeignete Treffer zu erzielen sind ?
Ist es nicht Ziel führender und Sinn stiftend, Professuren für “Designtheorie”, “Designgeschichte”, “Theorie der Gestaltung” und “Medientheorie” in erster Linie mit Designern zu besetzen und hauptsächlich dort nach potenziellen Bewerbern Ausschau zu halten ?
Ihre darauf folgenden letzten beiden Sätze bestätigen übrigens meinen ersten Kommentar.
Denn, worin diejenigen “punkten”, die Kunstgeschichte studiert haben, ist nicht relevant für die Tätigkeit im Beruf des Designers, nicht für die Lehre und auch nicht für die Forschung mit und für Design. Daher stellt sich auch gar nicht erst die Frage, ob Designer mit einer Promotion oder mit dem “punkten” müssten, was in der Kunstgeschichte als Wissenschaft gilt. Wissenschaft und Promotion, insbesondere die der Kunsthistoriker, hat in der Regel rein gar nichts mit der Forschung eines kreativen Schaffens, wie das von Designern, zu tun.
Die Grundhaltung, die Vorstellungs- und Forschungswelten von Kunsthistorikern sind gegenüber denen von Designer geradezu Grund verschieden, dass sie sich erst gar nicht vergleichen lassen. Das Studium für Kunstgeschichte und insbesondere das Prozedere einer Kunsthistoriker-Promotion eignet sich schon deswegen überhaupt nicht als Qualitäts- und schon gar nicht als Qualifikationsmerkmal, wenn es darum geht, sich mit Zusammenhängen und Methoden des Design befassen und dieses im Rahmen von kultur- und geisteswissenschaftlichen Grundlagen für Design-Studierende lehren zu wollen.
Von einer Ablehnung an kultur- und geisteswissenschaftlicher Grundlagen innerhalb meines Textes – so wie Sie es festzustellen zu glauben scheinen – kann schon gar nicht die Rede sein. Vielmehr ist es so, das die Vertreter von Kunstgeschichte – bedingt durch ihr Ausbildung und ihrer Haltung zur Vergangenheit und Zukunft – fast immer die Falschen waren und sind, um diese Grundlagen überhaupt und insbesondere in der Designlehre oder gar in der Designforschung vertreten und lehren zu können. Oftmals sind sie zu sehr auf Stillstand gepolt und sind weit davon entfernt, ein Gespür für die Stetigkeit von Veränderung und Entwicklung zu entfalten.
Welche Ursachen und Hemmnisse da im Wege stehen, hatte ich ausführlich in meinem Kommentar beschrieben.
Ergänzende Erläuterung:
Kunsthistoriker und Designer sind von Grund auf verschieden. Beide befassen sich mit unterschiedlichen Themen und haben auch unterschiedliche Herangehensweisen mit ihren jeweiligen Themen umzugehen.
Die Herangehensweise von Kunsthistorikern, etwas zu kategorisieren bzw. zu formalisieren, die klassisch wissenschaftliche Absicht, ein Versuchsumfeld mit wiederholbaren Parametern zu beschreiben, verhindert von Grund auf ein Verstehen von Kreativität und Designprozessen und macht es jenen um so schwerer, denen das Talent oder die Erfahrung fehlt, in kreativen Prozessabläufen zu denken.
Um Kreativität und Design verstehen zu können, genügt es nicht, die dabei resultierenden Ergebnisse zu beschreiben, zu vergleichen und zu kategorisieren, wie es Kunsthistoriker in ihrem Studium für Kunstgeschichte gelernt haben.
Da Kunsthistoriker eher weniger selbst schöpfend sind, sie sich aber stets mit den Ergebnissen der Kreativität und Schöpfungsleistung anderer befassen, scheint sich bei einigen Kunsthistorikern, insbesondere bei jenen, die meinen, Wichtiges für eine Design-Lehre beitragen zu können, das Missverständnis herausgebildet zu haben, nur weil sie die Ergebnisse beschreiben, würden sie verstehen, was Kreativität ist bzw. wie es zum Ergebnis kam und könnten mit den Schöpfenden auf gleicher Höhe mitreden.
Dies scheint ein grundlegendes Missverständnis all jener zu sein, die sich im Themenumfeld des Design selber Theoretiker nennen. Sie versuchen, Kreativität und den Prozess der Gestaltung in den Formeln ihrer – in diesem Zusammenhang wenig geeigneten – Methoden zu erklären, ohne zu begreifen, dass bereits ihre Methoden, ihre Herangehens- und Denkweise im absoluten Widerspruch zu einem kreativen Schaffen stehen und diese sie daher eher vom Verstehen von Design und seinen Prozessen noch weiter entfernt, als diese ihnen näher zu bringen. Und die daraus resultierenden designfernen Vorstellungen werden dann “Theorie” oder gar “Wissenschaft” genannt und leider mit der Behauptung versehen, für Design, Designer und insbesondere für Design-Studierende von Bedeutung zu sein.
Das paradoxe ist, dass sich Kunsthistoriker und selbsternannte Theoretiker insbesondere durch ihre Methoden des präzisen Beschreiben immer weiter von dem entfernen, was sie eigentlich ergründen und beschreiben wollen: Kreativität; den Prozess des kreativen Schöpfen; Sinn und Möglichkeiten von und durch Design; kulturelle, gesellschaftliche und soziokulturelle Phänomene im Zusammenhang mit Design.
Hier scheint die Unschärferelation von Heisenberg im übertragenen Sinne zu gelten 😉
Je mehr sich Kunsthistoriker oder selbsternannte Theoretiker einem Verstehen von Design, Kreativität, dessen Prozessen und Ergebnissen mit ihren designfernen Methoden zu nähern versuchen, um so unschärfer wird das Ergebnis.
Im Sinne des Design haben Kunsthistoriker die falschen Werkzeuge, die falschen Methoden und die falsche Denkweise. Sie wollen darüber nachdenken, etwas zuzuordnen und zu bewahren. Eigentlich wollen sie das Vorhandene nur beobachten und beschreiben. Sie haben weder die Motivation, noch das Talent, über Möglichkeiten und Veränderungen nachzudenken.
Es gibt Gründe, weshalb sie Kunstgeschichte studiert haben und sich mit etwas befassen, dass in der Vergangenheit liegt und sich in der Regel nicht mehr ändern wird.
Sie sind Kunsthistoriker und können bestimmt hervorragend über Kunstgeschichte berichten und lehren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Im Curriculum einer Design-Lehre macht ihr Einsatz nur in der Lehre von “Kunstgeschichte” Sinn. Für alles weitere sind sie zwangsläufig Fachfremde.
Um nicht fragen zu müssen, welchen Sinn Kunsthistoriker in der Design-Lehre machen, kann man sich fragen, welchen Grund es geben sollte, Seminare, die sich mit Methoden des Design und dem Auseinandersetzen mit Gesellschaft und Design befassen, nicht ausschließlich von Designern mit entsprechenden Berufserfahrungen lehren zu lassen ?
Design bewegt sich in der Praktik und somit in den Widersprüchlichkeiten des Lebens und befasst sich mit deren Reflexion. Es geht um Problemerfassung, Problembeschreibung, Problemverschiebungen, Prozesse, Strategie, Soziologie, Bedürfnisse, Optimierung, Unterscheidbarkeit, Verlässlichkeit, Image, Orientierung, Ökologie, Ökonomie etc.
All dies ist je nach Blickwinkel in unterschiedlichen Abhängigkeiten und in unterschiedlichen Qualitäten zu beurteilen, gegenüberzustellen oder gar in Einklang zu bringen.
Wer das erleben will, verbringt seine Zeit nicht mit einem Studium der Kunstgeschichte. Umgekehrt – wer Kunstgeschichte studiert, wird Design nicht verstehen.
Kunsthistoriker und Designer haben keine nennenswerten Gemeinsamkeiten. Kunsthistoriker verstehen Design nicht. Sie können nur beobachten, aber weder kreativ schaffen, noch alternative Handlungsszenarien oder verändernde Prozesse entwickeln.
Das ändert sich in der Regel auch nicht, wenn sich Kunsthistoriker im Rahmen einer Promotion oder in Publikationen mit Design befassen. Auch in diesem Zusammenhang werden Kunsthistoriker lediglich ihre Methoden anwenden, die für ein Verstehen von Design weitestgehend keine nennenswerte Rolle spielen, sondern eher hemmend und störend wirken, da sie nur auf Formalisierung, Vergleichbarkeit und Wiederholbarkeit aus sind.
Es ist die Herausforderung für die jetzige Generation der Promovierenden im Design, eine Designtheorie mit zu entwickeln, die diesen Namen verdient und auch die Verpflichtung der Promotionsausschüsse, Themen zu fördern, die kurz- bis langfristig die Dissertationsvorhaben aus den Fängen der Anwendungsorientierung herausholen. Das ist der Ansatzpunkt, den ich auch in von Lohs Kommentar sehe – die “Ablehnung kultur- und geisteswissenschaftlicher Grundlagen”.
Es ist doch absurd, dass wir uns im Rahmen unserer Berufsausübung aller möglicher Disziplinen in Form von Hilfswissenschaften bedienen und dann in der Forschung jene bestehenden Denkgebäude nicht hinsichtlich ihrer Passung oder Nicht-Passung für die eigene Disziplin abklopfen, um daraus etwas Eigenes zu entwickeln.
Ich möchte als Promovierender in Designtheorie nicht weiter dabei zuschauen, wie mir Kunstgeschichtler meine eigene Disziplin erklären.
Ein rein in die Vergangenheit gerichteter Blick wird uns dabei nicht weiterhelfen. Es sind nicht nur die Geschichtsschreibung und mangelndes Geschichtsbewusstsein, die für die traurige Situation der Designgeschichte und der Designtheorie mitverantwortlich sind.
Designtheorie kann/darf nicht nur aus dem Blick zurück in einer interpretierenden Haltung entstehen, sondern sie muss Phänomene auch aus der Position des Teil seienden Experten explizieren.
Wer außer forschenden Designern weiß denn noch genauer darüber Bescheid, wie die eigene Disziplin funktioniert bzw. hat potentiell die geringsten Transmissionsverluste?
Um zum vorläufigen Ende zu kommen: es liegt dennoch nicht nur an den Forschenden, sondern auch an jenen, die die Rahmenbedingungen für Forschung schaffen, erhalten oder vernichten.
Die Designforschung muss ihren Inferioritätskomplex ablegen. Das ist nur möglich, wenn Hochschulen sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Kürzungswünschen aus der Politik entgegenstellen und sowohl die Designgeschichte als auch die Designtheorie als bedeutsamen Teil der Lehre begreifen, vertreten, einfordern und besetzen.
Der nächste Alumnus, der mal wieder einen Designpreis gewonnen hat, mit dem sich die Hochschule schmückt, wird’s nicht retten.
Diesen Kommentar kann ich nicht nachvollziehen und es liegt nicht an seiner Länge.
Wer auch immer für eine design-lastige Professur berufen werden will, hat in der Regel die Eignung durch eine thematisch relevante Promotion und/oder entsprechende wissenschaftliche Publikationen nachzuweisen und das ist gut so. Dass hier Designer nicht punkten können, liegt an der von Ihnen heraufbeschworenen Ablehnung kultur- und geisteswissenschaftlicher Grundlagen. Sie führt zur im obigen GfDg-Artikel dargestellten Situation.
Allen Hinweisen und Besorgnissen im Artikel “Verzicht auf Vergangenheit” kann man augenscheinlich unumwunden zustimmen.
Selbstverständlich sollte es auch in Zukunft die Lehrgebiete Design- und Mediengeschichte in der Designlehre geben. Es stellt sich aber die Frage, ob es Sinn macht, dafür Kunsthistoriker zu berufen.
Designgeschichte gibt es bestenfalls als Seminar und nicht als eigenständiges Studium an Hochschulen. In der Regel sind es Kunsthistoriker, die für solche Themen an Hochschulen berufen werden. Designgeschichte muss sich zwangsläufig mit Designprozessen, Design- und Wirtschaftsgeschichte befassen.
Werden Kunsthistoriker in ihrem Studium tatsächlich auf diese Themen vorbereitet ?
Sollte man “Kunsthistorie” bzw. “Designgeschichte” in Design-Studiengängen gut meinend und unreflektiert eine Relevanz zutrauen, die diese und ihre Befürworter und Protagonisten gar nicht erfüllen können ?
Design bewegt sich in der Praktik und somit in den Widersprüchlichkeiten des Lebens und befasst sich mit deren Reflexion. Es geht um Problemerfassung, Problembeschreibung, Problemverschiebungen, Prozesse, Strategie, Soziologie, Bedürfnisse, Optimierung, Unterscheidbarkeit, Verlässlichkeit, Image, Orientierung, Ökologie, Ökonomie etc.
All dies ist je nach Blickwinkel in unterschiedlichen Abhängigkeiten und in unterschiedlichen Qualitäten zu beurteilen, gegenüber zu stellen oder gar in Einklang zu bringen.
Wissen, insbesondere über Designgeschichte, kann eine geeignete Basis für Design sein, muss es aber nicht. Die Notwendigkeit von Kunsthistorie und Designgeschichte als Lehrangebot in Design-Studiengängen wird maßlos überbewertet, wenn man diese Lehrangebote wie bisher nur als Rückblick auf eine Vergangenheit lehrt. Diese dürftige, kurzsichtige Sicht ergab sich bisher, da häufig der Fehler begangen wurde, diese Lehrthemen durch Kunsthistoriker vertreten zu lassen. So wurde stets eine Designtheorie verhindert, die diesen Namen vedient und die die hoch komplexen Zusammenhänge im Design und Design als Prozess deutlich macht.
Werden Kunsthistoriker nicht nur deswegen für Design-Studiengänge berufen, weil Design mit Kunst und Historiker mit Theoretikern verwechselt werden ?
Design ist der Prozess eines reflektierten Experimentierens. Es geht um ein Entwerfen auf Basis von Methoden, die Experiment, Analyse und Struktur ermöglichen und helfen, dies kombiniert und im Team betreiben zu können, aber stets berücksichtigen, dass es im Designprozess keine vorgegebene Reihenfolge oder Ordnung geben kann.
Die Prozessvarianten, die Methoden und die Lehre von Design- und Mediengeschichte bilden eine Designtheorie, die nicht nur auf das Hochleben der Vegangenheit basiert.
Die Vergangenheit und Erkenntnisse aus der Vergangenheit sind insbesondere am Anfang eines solchen Prozesses fast immer falsche Ratgeber. Eine Designtheorie muss stets die Blickwinkel wechseln können, da sich im Designprozess durch Auseinandersetzungen mit Zwischenergebnissen stets neue Erkenntnisse ergeben können, die dann wiederum unterschiedlich zu bewerten und mit unterschiedlichen Wissenschaften zu beurteilen sind.
Kreativität findet im Design eben in erster Linie im Prozess und oft erst im letzten Drittel in visueller Form statt.
Designtheorie kann (fast) nur von Designern im Rahmen der jeweiligen Spezialisierungen (Service Design, Interfacedesign, Interactiondesign, Corporate Design, Industrial Design etc.) vertreten werden. Auch “Design- und Mediengeschichte” kann grundsätzlich nur von studierten Designern und nach langjähriger Berufserfahrung als Designer sinnstiftend gelehrt werden.
Es gibt aber immer wieder mal Persönlichkeiten, die unabhängig von ihrer Ausbildung jede Ausnahme möglich machen.
Was haben Kunsthistoriker zu bieten, um das erfassen und beurteilen zu können ?
Welche Theorien formulieren Kunsthistoriker, die hierfür passen könnten ?
Die Behauptung, sie seien Experten der Vergangenheit, wäre irreführend und unvollständig. Schließlich sind sie bestenfalls Experten einer Vergangenheit der Kunst und nicht die des Design.
Sollten Theorien für Design nicht von jenen formuliert und gelehrt werden, die sich unmittelbar mit Design befassen ?
Das Lehrthema Designgeschichte wird in der Regel mit Kunsthistorikern besetzt. Wenn Professoren-Stellen für Kunsthistorie oder Designgeschichte in Design-Studiengängen wegfallen, muss dies daher kein Verlust bedeuten. Zumindest dann nicht, wenn die frei werdenden Stellen diesmal mit tatsächlich designrelevanten Inhalten und mit Designern besetzt werden sollten. Schließlich befassen sich Kunsthistoriker nur mit Kunst, ihrer historischen Entwicklung und Zusammenhänge. Es hat nicht einmal zwangsläufig mit Designgeschichte oder gar Theorie zu tun, schon gar nicht mit einer, die sich mit Design befasst.
Design und Designgeschichte findet in der Ausbildung für Kunsthistorie in der Regel nicht statt, gilt den Lehrstühlen oftmals als zu jung oder im Idealfall als nicht der Kunst zugehörig, um es in den Lehrplänen für Kunsthistoriker zu berücksichtigen. Entsprechend ahnungslos sind Kunsthistoriker hinsichtlich der Absicht, den Möglichkeiten und der Relevanz von Design. Sie wenden dadurch oftmals eine Lehre und Methoden an, die für Design-Studiengänge wenig sinnvoll sind.
Ist Design in der Lehre nicht schon seit Jahrzehnten vielerorts als Kunst falsch verstanden und falsch vermittelt worden ?
Ist das, was in der Designlehre “Theorie” genannt wird, nicht viel zu oft von den Falschen, von absolut fachfremden Kunsthistorikern, vertreten worden ?
Design wurde und wird nicht selten mit Kunst verwechselt und wohl auch aus diesem Grunde in der Theorielehre an Design-Hochschulen häufig von Kunsthistorikern vertreten. Theoretiker im Sinne von Persönlichkeiten, die eigene Theorien formulierten oder gar designrelevant publizierten, sind unter ihnen kaum welche zu finden.
Es sind halt nur Kunsthistoriker, die sich wahrscheinlich nicht selten nur deshalb für den Beruf des Kunsthistorikers entschieden haben, um sich zurückgezogen – der äußeren Realität und einer lebendigen, unregelmäßigen Welt entrückt – mit etwas befassen zu können, bei dem störende Veränderungen nicht mehr zu befürchten sind, weil es schon Teil der Vergangenheit ist.
Diese durchaus oft festzustellende Unlust an und diese Sorge um Veränderung drückt sich dann bisweilen auch im eigentlichem Desinteresse an Design aus, dass – zum Ärger dieser Kunsthistoriker – massiv durch Veränderung geprägt ist, diese verursacht bzw. durch Bedarf an Veränderung in Auftrag gegeben wird.
Dadurch entsteht unweigerlich eine gestörte Beziehung zwischen den Kunsthistorikern und deren Sicht auf das Thema Design. Dies kann dazu führen, dass Kunsthistoriker Mythen und Vorstellungen über sich und zum Design formulieren, damit die potenzielle Deplatzierung in der Designlehre für sie selber nicht zu schmerzhaft und für andere nicht zu offensichtlich wird.
Sie definieren sich ihr Steckenpferd, perfektionieren diese Monokultur und behaupten, obwohl sie in der Regel weder in ihrem Studium, noch danach je nennenswert mit der Auseinandersetzung mit Design zu tun hatten, diese sei für die Designlehre unverzichtbar.
Zudem wird behauptet, es sei das, was als “Theorie” zu verstehen und hoch zu halten sei.
Ab dann besteht ihre wesentliche Aufgabe darin, um ihr Fachgebiet und sie selber die Aura von “Theorie” mit unanfechtbahrer Notwendigkeit zu flechten. Das ist dann durchaus mit der Aura einer unbefleckten Empfängnis vergleichbar. Niemand weiß, woher und unter welchen Umständen sie Zustande kam, aber sie ist da und bereits deswegen wichtig 😉
Der Lieblingsspruch bzw. die bevorzugte Rechtfertigung lautet: “Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann für die Zukunft nicht gestalten.”
Dieses Mantra ist so banal wie es Überlegenheit und Kompetenz vorzugaukeln versucht. Und es zeigt sehr deutlich, dass nicht verstanden wurde, was Design überhaupt ist.
Da insbesondere die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen nicht aus einem Vergleich mit dem bereits Stattgefundenen erdacht wurden, wird deutlich, wie relativ das Wissen um Vergangenheit sein kann.
Dieser Lieblingsspruch entspringt derselben Hobbydenker-Prosa wie die vermeintlich kluge Feststellung, “Stil sei nicht das Ende des Besens” oder “Bauhaus sei nicht das, wo man die Schrauben kauft”.
Kreativität entfaltet sich gerade dann, wenn man es schafft, nicht an das zu denken, was bereits bekannt ist. Nicht zuletzt deswegen, ist die Grundhaltung von Kunsthistorikern, die sich in erster Linie dem Zitieren, dem Bewahren und dem Katalogisieren der Vergangenheit verpflichtet fühlen, für Design-Studierende so hilfreich wie ein Rettungsring aus Beton auf hoher See.
Diese Grundhaltung hat zudem etwas geradezu banales, weil sie zur Folge hat, sich der realen Welt, die nun einmal von stetigen Veränderungen geprägt ist, entziehen zu wollen. Eine sehr hinderliche Grundhaltung, wenn man es sich mit einer Professur zur Aufgabe genommen hat, junge Menschen auf ihre Zukunft vorbereiten zu wollen und dabei nicht gänzlich übersieht, dass eine Zukunft stets unvorhergesehene Veränderungen mit sich bringt.
Mal davon abgesehen ist insbesondere von den Sprücheklopfern dieser Art wenig an selbst formulierten Theorien oder anderen Publikationsbemühungen überliefert. Wenn denn Publizierung oder Forschung stattfand, ist es in der Regel kunsthistorische, aber nicht designrelevante.
Gewiss – es gibt große Ausnahme-Persönlichkeiten in der Theorievermittlung von Design-Studiengängen und diese bleiben Vorbilder und in der Lehre unvergessen und vermisst. Diese bekommt man aber nicht zurück, indem man die Fehler der anderen wiederholt. Es sind und waren Ausnahmen, gerade weil sie nicht wie Kunsthistoriker dachten und agierten und zudem interessante Persönlichkeiten sind oder waren.
Die Haupteigenschaft von Kunsthistoriker liegt darin, am Artefakt, am Objekt kleben zu bleiben. Was für eine kunsthistorische Betrachtung sinnvoll sein mag, bedeutet für ein Verstehen von Design eine Katastrophe.
Kunsthistoriker propagieren den Stillstand als Konstante und behindern so nicht selten die Weiterentwicklung eines Design-Studiengangs. Sie verwechseln ihre Haltung mit Denken und behindern die Design-Studierenden beim nachdenken. Nachdenken macht die Lust an Veränderung und diese ein Loslassen von der Lust am Beständigen, am Bewahren erforderlich.
Dies bedeutet nicht ein Verzicht auf Vergangenheit. Es vermeidet lediglich, Vergangenes perse als geeignete Basis für Veränderung hervorzukramen und zu zitieren.
Design steht für Interpretation von Zuständen und für die Lust an Veränderung.
Nicht Stillstand, sondern Veränderung ist die Konstante im Leben. Um so tragischer wäre es, wenn das Vermeiden von Veränderung als geeignete Haltung vermittelt würde. Die Interessen der Studierenden und deren qualifizierte Vorbereitung auf ein Berufsleben als Designer würde so realitätsfernen Vorstellung geopfert.
Soetwas könnte passieren, wenn man Fachfremde agieren lässt, aber auch, wenn man vermeintlicher “Theorie” gut meinend und unreflektiert eine Relevanz zutraut, die diese und ihre Befürworter und Protagonisten gar nicht erfüllen können, wenn sie keine Designer sind.
Gibt es überhaupt einen Bedarf oder eine Rechtfertigung für Kunsthistoriker an Design-Hochschulen ?
Vergangenheit zu kennen und bei Bedarf bei einer schaffenden Tätigkeit für ein Entwicklungsvorhaben in Betracht ziehen zu können, ist nicht nur für die Tätigkeit von Designern durchaus wünschenswert. Fühlt man sich deswegen aber gleich genötigt, auch in den Studiengängen von Ingenieuren, Physikern, Informatikern, Betriebswirten etc. Kunsthistoriker als Professoren für Designgeschichte und zudem noch für “Theorie” zu berufen ?
Solch einen realitätsverzerrten Bedarf scheint man nur an Design-Studiengängen für erforderlich zu erachten. Ein Grund mehr, endlich davon Abstand zu nehmen, Design mit Kunst in Beziehung setzen zu wollen. Die Vermeidung dieser Fehlinterpretation wäre sehr heilend für die Designlehre, für das Selbstbild der Design-Studierenden, aber auch für das Fremdbild und die Sicht auf Design in der Gesellschaft allgemein.
Leider ist es tatsächlich so banal wie es peinlich ist:
Kunsthistoriker wurden und werden für Design-Studiengänge berufen, weil Design mit Kunst und Historiker mit Theoretikern verwechselt werden.
Um so absurder ist es, die Leistung oder gar die Notwendigkeit von Kunsthistorikern innerhalb der Designlehre unnötig hoch zu hängen.
Auf die Herausforderungen im Design kann man mit der Haltung kleingeistiger Artefakte-Sortierungen und Einordnungen nicht vorbereiten. Was die hohe Bedeutung von Kunsthistorikern für das Bewahren von Wissen und Objekten nicht schmälert. Aber auch hier gilt: “Schuster bleib bei deinen Leisten.”
Es bleibt auch unbestritten, dass es hilfreich wäre, wenn Design-Studierende über ein breites Wissen der Kunst-, Design- und Mediengeschichte verfügen würden.
Leider haben Kunsthistoriker in der Regel keine Ahnung von Design und auch nicht von Medien. Um so erstaunlicher ist es, dass sie für “Designtheorie”, “Designgeschichte”, “Theorie der Gestaltung” und bisweilen sogar für “Medientheorie” berufen werden.
Torsten Stapelkamp
Kommentar zum Artikel: “Verzicht auf Vergangenheit”
http://www.designkritik.dk/der-verzicht-auf-vergangenheit/