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Das Projekt ist die Welt – Jerszy Seymour bei Esther Schipper

 

Design ist in den letzten Jahren immer sammelbarer geworden. Nicht nur die Entwürfe der klassischen Moderne, wie die von Charles Eames und Jean Prouvé, erzielen in den Galerien Höchstpreise. Auch viele junge Designer erkennen die Chance und produzieren für einen Editionsmarkt, der bis zuletzt, das heißt bis zur ökonomischen Krise, unablässig wuchs. Noch werden Designmessen gegründet. Noch debütieren klassische Galerien im Hoheitsbereich der angewandten Kunst. Bislang aber kann niemand absehen, ob diese Euphorie von der Rezession ausgebremst werden wird. Oder ist die gegenwärtige Unsicherheit an den Märkten womöglich der Impuls für eine neue Einwanderungswelle der Gestaltung in den Kunstbetrieb? Vielleicht gewinnen dann wieder Konzepte an Einfluss, vielleicht sind dann künftig die Gestalter mit ihren Gegenentwürfen zu künstlerischen Praktiken und Methoden häufiger in Ausstellungen zu Gast? Mehr Konzept und weniger glitzernde Aura wäre eine Rückbesinnung auf die eigentliche Stärke des zeitgenössischen Designs.

Zuweilen jedoch birgt der konzeptionelle Zugang zum Design das Risiko der Banalität in sich. Nicht alle Objekte schaffen es, dauerhaft skulptural zu überzeugen. „Conceptual Design“ gleicht in seinem Ansatz weiten Teilen der Gegenwartskunst seit den 1960er Jahren. Dabei erarbeiten die Designer mit ihren Mitteln Antworten auf zeitgenössische Problemstellungen. Die Resultate haben nichts mehr mit den üblichen Ansprüchen an Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit zu tun, obwohl die Beziehung zu Alltagsszenarien und das Verhältnis der Menschen zu nutzbaren Gegenständen die Sujets dominieren. Die Geschichte des ausstellbaren zeitgenössischen Designs wird so zu einer Emanzipationsgeschichte: Die Gestalter befreien sich von Dogmen, Anpassungszwängen und auch einem unreflektierten Rollenverhalten. Designer wie Jerszy Seymour (geb. 1968) zeigen anschaulich, wie wenig dies noch mit klassischen Maßstäben an sein Metier zu tun hat, aber auch, wie wenig sich das Design zu diesem Zweck in „Kunst“ verwandeln muss.

Seymour gehört zu den anerkanntesten der an der Grenzlinie zur Kunst agierenden Designern, aber vielleicht zu den am wenigsten dokumentierten. Er studierte unter anderem am Londoner Royal College, lebte in Mailand und New York, heute nennt er Berlin sein Zuhause. Als Industriedesigner ist er erfolgreich, finden sich seine Arbeiten doch in den Sortimenten großer Hersteller, beispielsweise bei MAGIS. In der Vitra-Kollektion 2008 ist er mit dem Stuhl-Experiment „New Order“ vertreten. Forschungsprojekte im Industriedesign-Kontext und in der Lehre gehören ebenfalls zu seinen Aktivitäten. Seit annähernd zehn Jahren wird Seymour von der Galerie kreo in Paris vertreten, die zeitgenössisches Design vermittelt. Die Preise für seine Arbeiten bewegen sich laut Auskunft der Galerie derzeit zwischen 7.000 und 15.000 Euro. Doch Designer leben auch heute nicht von Sammlern. Seymour weigert sich gelegentlich sogar, überhaupt zu verkaufen, und führt seine Objekte von den Begierden der Sammler unberührt dem Recycling zu.

Wenn Seymour in seiner aktuellen Ausstellung „Amateur furniture“ bei Esther Schipper eine Inneneinrichtung aus handgegossenen Kunststoffplatten in Kaugummi-Grau zeigt, Tisch, Stühle und Blumenampeln, bleibt deshalb offen, um welche Herangehensweise es sich handelt und was eigentlich zu sehen ist – Kunstobjekte oder prozessuales Experiment? Das Ensemble ist nur ein sehr kleiner Teil des „Amateur“-Werkzyklus, den Seymour seit der Ausstellung „Living Systems“ 2007 im Vitra Design Museum experimentell begann und mit Ausstellungen im MARTa Herford im Februar und im Juni im Mudam Luxembourg vervollständigen wird. Seymour ist davon überzeugt, dass es sich um Design handelt, nicht um Kunst. Schließlich galt es, den Empfangsbereich der Galerie zu gestalten, Tische und Stühle mit ganz einfachen Mitteln herzustellen. Man muss Seymour als Industrie-Designer begreifen, der das Feld zur experimentellen Forschung in die Galerie und das Museum verlegt, der den Ausstellungsort als Funktionszusammenhang versteht, nicht als Behältnis für gestaltete Objekte. „Wo sonst soll dieser Ort sein?“, lautet seine lakonische Frage.

Seine überfließenden Kunststoff-Möbel und handgegossenen Interieurs beschäftigen sich nicht vordergründig mit dem Skulpturalen. Und mit ihrer kontrapunktisch-amorphen Ästhetik widersetzen sich seine Arbeiten jeder Perfektion. Dem Designer sind die Prozesse das Wichtigste. Postindustrielle Fertigung, zu Hause, in der Küche oder der Garage, das interessiert ihn. Nicht das Kreieren von Objekten, sondern von Situationen und Kollektiven. Seine Objekte bedienen die Idee der Nachmoderne nicht aus einer artifiziellen Distanz heraus, sondern durch sichtbare Arbeit. Der Versuch zählt – und die Momentaufnahmen aus diesen Versuchen. Doch selbt dieses Element möchte er nicht als Iteration in Richtung einer wie auch immer gearteten Vervollkommnung verstanden wissen. Nicht das Bezwingen des Materials qua meisterlicher Handwerkskunst steht im Mittelpunkt, sondern die leichte, unbeschwerte Erschaffung von situativen Gebrauchsgegenständen. Dazu verwendet er allgemein zugängliche Werkstoffe, die er frei fließend formt, zum Beispiel Polyurethanschaum oder das bei ca. 60 Grad Celsius schmelzende Wachs Polycapralacton.

Anlässlich der Ausstellung „Formlose Möbel“ im Museum für angewandte Kunst in Wien im Oktober 2008 etwa lud er zum First Supper, einer Installation mit Bewirtung. Auf genialisch-simplen Sitzgelegenheiten aus geschmolzenem Kunststoff ließ es sich munter diskutieren. Nach Abschluss der Veranstaltung wurden für die Einzelstücke hohe Preise geboten – Seymour aber nahm sie alle wieder mit: „Die werden eingeschmolzen und wieder neue daraus gemacht.“ Manchmal würde man der Gegenwartskunst die gleiche Entscheidungsfreiheit wünschen. Für Seymour ist die Galerie nur Labor, für die Kunst ist sie das überlebensnotwendige Verkaufsschaufenster. Merkwürdig, dass die neu gegründeten Design-Erweiterungen der Kunstmessen diese Frage so oft umgekehrt verstehen.

Aber was unterscheidet eigentlich noch Kunst und Design, seit sich jeder ordentlich gestaltete Stuhl als Kunstobjekt eingemeinden lässt? „Das Projekt ist die Welt“, sagt Jerszy Seymour selbst dazu und leistet damit wertvolle Hilfestellung bei der Beantwortung dieser Frage. Mit anderen Worten: Das Design löst weiterhin Aufgaben. Gestaltung ist Service. Bei Seymour, das zeigt seine Berliner Ausstellung deutlich, handelt es sich um einen Service, der über sich selbst nachzudenken vermag. Idealerweise materialisiert sich dieser Reflexionsprozess im Objekt. Manchmal, im Glücksfall, bleibt der Maßstab für dieses Nachdenken im Design sichtbarer als in der Kunst.