Wir begegneten dem Fall Helene H. in den vergangenen Tage en masse. Und für alle jene, die ihr aus dem Weg gehen konnten: es handelt sich um diese 17-jährige (mittlerweile 18-jährige) deutsche Autorin, namens Hegemann, die mit ihrem Erstlingswerk “Axolotl Roadkill” die Besteller-Listen stürmte, um dann anschließend der Feuilleton-Hetzjagd davon zu laufen.
Die entzückte „Welt“ kommentierte “verblüffend klug, angenehm grotesk und herrlich sprachgewandt.” Anfangs zur Nachfolgerin von Charlotte Roche gekrönt, löst das Werk der Berlinerin nur kurze Zeit später mit der Bekanntmachung von dem “Gebrauch fremden geistigen Eigentums” nur noch Entsetzen aus: denn Hegemann bediente sich in ihren Aufzeichnungen fremder Texte wie z.B. der des Bloggers Airen, dem erst in der Zweitauflage gedankt wurde. Das Interessante daran ist nicht einmal die gewählte Sprache oder der rasende Verfall eines Literatur-Stars, sondern vielmehr die Begründung der Autorin, die Verwendung der fremden Texte sei die moderne Kommunikationsform im 21. Jahrhundert – die “Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess”, wie sie es ferner nennt. Glaubt man Helene Hegemann, so habe jeder das Recht zum Kopieren und Transformieren – „Apfel –C, Strg-V“, kubistisches Collagieren.
Was in der Musik schon lange unter dem Begriff „Sampling“ bekannt war, bezeichnet hier einen wilden inhaltlichen und stilistischen Mix: Das Zusammenstellen unterschiedlicher Produkte (Musik, Literatur, Kunst) sei eine eigene künstlerische Leistung, so die Behauptung der dahinter stehenden Menschen. „Axolotl Roadkill“ ist demnach eine Ansammlung sich fremder Texte dar und Hegemann wurde ganz zu unrecht falsch verstanden. Als gekonnte Samplerin wurde sie vielleicht einfach nur fälschlich als Autorin bezeichnet? Wäre hier der Begriff „Herausgeberin“ nicht angebrachter gewesen? Der Ullstein Verlag hat da wohl generell den Trend nicht erkannt (?).
Allen Spekulationen zum Trotz, die Diskussion um diesen Roman spiegelt einfach nur die Leichtigkeit eines Mediums namens Internet wider. Denn die Inhalte des Romans vermögen es nicht, die Welt zu erschüttern. Im Fall Hegemann geht es einzig um die Dreistigkeit, wie Personen sich fremden Eigentums bedienen können: die Plagiat-Autorschaft.
Wäre Helene Designerin, könnte man sie wenigstens für den Plagiarius, den Preis an die dreistesten Produkt-Plagiatoren, nominieren. Auf der Website www.plagiarius.com des schwarzen Zwerges mit der goldenen Nase (die goldene Nase, die sich Plagiatoren verdienen), heißt es “die Plagiatoren kopieren nur erfolgreiche Produkte (…) und sparen somit die Kosten für Forschung und Entwicklung sowie für das Marketing”. Sollte man der Nachwuchsautorin kriminelle Energien unterstellen, oder sich fragen, warum sie die schamlose Nutzung von Fremdtexten nicht von Anfang an als PR-Story für sich genutzt habe, – am Ende bleibt die Frage: wen interessiert es eigentlich noch? Es interessiert – immer noch – den Feuilleton der großen Tagesblätter und vor allem natürlich die Literaturszene, Kollegen wie die Schweizer Autorin Milena Mosen, die dazu sagen würde: eine weitere “Möchtegern”, die davon träume, Schriftstellerin zu werden (a.d.R. “Möchtegern” ist das gerade erst erschienene neue Werk von Milena Mosen).
Was bedeutet das übertragen im Bezug auf das Design? Wie lange kämpfen Gestalter gegen Verwerter geistiger und ästhetischer Leistung? Sabine Zentek, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht, beschreibt im Vorwort ihres Buches “Ein Handbuch für Recht in Kunst und Design”: “Kreativ tätige Menschen wie z.B. bildende Künstler, Designer verschiedener Fachrichtungen, Architekten, (…) oder Schriftsteller gehören zu Berufsgruppen, bei denen der individuelle Freiraum notwendige Voraussetzung für den jeweiligen Schaffensprozess darstellt.” Die diffizile Frage, ob und wann eine Verletzung des Urheberrechts vorliegt, kann meist nur von einer juristischen Kompetenz erörtert werden. Den kreativen Urhebern plagiierter Werke und Entwürfe bleibt als Alternative nur der Weg in die Öffentlichkeit, den im Fall Hegemann der Autor Airen zur Geltendmachung seiner Rechte erfolgreich nutzte.
Wo liegt die Grenze zwischen Inspiration und Nachahmung? Im Design kommt ein weiteres Kriterium dazu, die wahrnehmbare Beschaffenheit des Produktes: Glaubt man den Home-Stories von Designmagazinen, dann ist der Apple-Designer Jonathan Ive bereits mit Dieter Rams Produkten aufgewachsen. Ives ästhetische Erziehung unterliegt also dieser lebenslangen Prägung, die seinen Schaffensprozess nachhaltig beeinflusst haben muss. Ein anderes Beispiel ist der neue “Basel Chair” von Jasper Morrison für das Unternehmen vitra. An ihm erkennt man nicht nur eine klassische Form in Anlehnung an z.B. das “Modell 2200” von Max Stoelcker, auch bekannt als Frankfurter Stuhl, sondern auch die offensive Verwendung neuer Materialien. Sitz- und Rückenlehne, aus Kunststoff gefertigt, ermöglichen diverse Farbvarianten. Der Entwurf spielt absichtsvoll mit der Ähnlichkeit zum Klassiker und der neuen Optik. Die Frage nach Modifikation von Vorgefundenem, in diesem Fall der Inspirationsquelle, ist fast unmöglich zu beantworten, denn nicht alles gestaltete kann und will zum Patent angemeldet sein.
DJ Helene, wir sind gespannt auf den zweiten Remix-Sampler!