Marcus Rückewoldt: Das Macbook ist Neokitsch?
Das Design des Macbook ist populär. Ihm fällt der gleiche Kultstatus zu, wie so manchem Klassiker des modernen Designs. Warum das Macbook jedoch eher „Neokitsch” ist und ästhetisch lange nicht mehr zeitgemäß, klärt die aktuell im Hatje Cantz Verlag erschienene Aufsatzsammlung Ästhethische Werte und Design und geht der komplizierten Frage nach dem was wir schön und richtig finden nach.
Gutes Design?
Fragt man einen Designer nach „gutem Design” fällt vielen sofort Apple ein. Nicht zuletzt, weil es sich durch die reduzierte Form so deutlich von anderen Notebooks unterscheidet. Aus meiner Sicht ist es funktional, innovativ und intuitiv zu bedienen. Es trägt qualitativ hochwertige Komponenten in sich, die sich auf dem neuesten Stand der Technik befinden. Soweit die Theorie. Den größten Erfolg von Apple macht meiner Ansicht als Designer nach die intuitive Bedienung der Systeme aus. Sie ermöglicht selbst älteren Menschen den Einstieg in die Computerwelt und hilft seinen Benutzern sich schnell mit neuen Funktionen vertraut zu machen. Darüber hinaus ist das Macbook aber ein Statussymbol, ein Accessoire, das wir mit ins Café, zum Arbeitsplatz oder mit in die Bibliothek nehmen. Apple Produkte sind generationen-übergreifend beliebt und geschlechtsneutral. Wenn ein Produkt von so unterschiedlichen Gruppen als schön empfunden wird, müssen hier ästhetische Werte zugrunde liegen? Werte, die Generationen und Geschlechter verbinden. Ist ein solch populäres Design schon Kitsch?
Reduktion als Statusmerkmal
Die These, dass Apple nur „coolen Kitsch” fabriziert ist provokant. Der Autor Rainer Schönhammer, Professor für die Psychologie der Gestaltung in Halle, geht in seinem Textbeitrag „Design=Kitsch?” in „Ästhethische Werte und Design” noch weiter.
Er beschreibt das Gefühl, in eine mitgelieferte Ideologie des Großkonzerns Apple geraten zu sein, wenn seine Studenten ihre Liebe zum Macbook versuchen rational zu begründen. Dessen Marketingstrategie bietet den Kunden offenbar viele Argumente, um ihren rein emotionalen Bezug zum Macbook zu rationalisieren.
Schönhammer ist durchaus der Meinung, dass man sich mit dem Gerät schmücken kann, z.B. zieht das leuchtende Logo auf der Rückseite begehrliche Blicke in der Bibliothek oder im Café auf sich. Dieser optische Reiz dient nicht der Funktion des Geräts, sondern hat seine Bedeutung einzig im Vermarktungsmoment – eignet sich jedoch gut als Statussymbol. Dieses leuchtende Emblem oder das pulsierende Licht, das den Ruhezustand des Gerätes anzeigt, inszenieren das Macbook als eine Kiste mit magisch leuchtendem Inhalt. Apple-Produkte, so Schönhammer, seien über die Funktionalität hinaus zwar schlicht, aber auch auffällig und anrührend. Und genau dies sind laut Schönhammer die entscheidenden zwei Merkmale von Kitsch. Dem Kitsch fehle das Vermitteln von Funktion. So hält Schönhammer beispielsweise die Formen von bekannten Bauhausklassikern für weit mehr der Gefälligkeit geschuldet als der Logik der Konstruktion. Auch so genannte Funktionalisten fallen, so folgert er, auf ästhetische Reize herein. Somit hat jeder Stil seine Reize – für die Gestalter als auch für die Konsumenten.
Lost in Kitsch – was ist Design?
Eindeutigkeit, Reproduzierbarkeit und die immer mitschwingenden kulturellen Klischees sind laut Wikipedia die gängigen Merkmale von Kitsch – und bilden die Schnittmenge zur grundlegenden Definition von Produkt Design. Oder brauchen wir etwa eine ganz neue Definition von „gutem” Design?
Das Buch Ästhetische Werte und Design gibt auch hier hilfreiche Ansätze mit auf den Weg. In Jakob Steinbrenners Text „Wann ist Design? Design zwischen Funktion und Kunst.” macht der Autor einen Versuch der definitorischen Abgrenzung: „Ein Gegenstand (Artefakt) besitzt genau dann Design, wenn ervon einer bestimmten Person zu einem bestimmten Zweck entworfen ist und zu diesem Zweck auch gebraucht wird” 1. Aber können Designobjekte nicht auch für mehrere Zwecke entworfen werden, also interpretierbar sein, ohne gleich als Kunst zu gelten? Zum Beispiel: Undinge, die dazu entworfen sind die Fantasie des Benutzers anzuregen. Dinge, die sowohl ein Eimer als auch ein Hocker sein können. Sie sind mit Absicht als offenes System gestaltet – und dennoch oder gerade deswegen Design. Ein zweiter Versuch einer Definition bezieht sich auf die Zeichenfunktion des Designs. Demnach sei ein Gebrauchsgegenstand solange Design, solange er als Zeichen innerhalb eines Zeichensystems funktioniert. Doch Vorsicht! Auch Klischees fügen sich in ein System von Vorurteilen und könnten durch das Design bedient werden. Wie beispielsweise ein seniorengerechtes Telefon, das Senioren nicht benutzen wollen, weil es ihnen ihre altersbedingten Defizite vor Augen führt. So ist es kein gutes Design, sondern eine Art Kitsch. Hier kann Steinbrenners Definitionsversuch Kitsch nicht von Design abgrenzen.
In seiner abschließenden Definition von Design versucht Steinbrenner sogar unwiderlegbar zu sein. „Design besitzen Gegenstände genau dann, wenn sie funktionale Artefakte sind und ihre funktionalen Merkmale unter ästhetischem Gesichtspunkt, das heißt innerhalb eines ästhetischen Zeichensystems bewertet werden.” 2 Diese Definition ist für den Praktiker weitgehend unbefriedigend und klingt wie: „Design besitzen Gegenstände genau dann, wenn sie als solche erkannt werden.” Anschaulicher wäre hier, den Vergleich zur Sprache ziehen: Design ist eine Sprache, die für ihre Existenz einen Sender und einen Empfänger benötigt.
Auch für den Kitsch könnte man diese Analogie verwenden: Kitsch ist eine minderwertige Designsprache, die unreflektierte Aussagen trifft oder Märchen erzählt, die nicht rational belegbar sind.
Warum ist das Macbook schön?
Aus welchen Gründen finden wir manche Produkte schön? Bei dieser Fragestellung hilft der Text von Christian Demand „Haltung! Wie viel Ethos braucht Design?” In seinem Text diskutiert Demand ästhetische Werte, wie sie vor allem in Deutschland ab 1890 geprägt wurden. Er erzählt vom „stolzen deutschen Bürgertum”3, das seine Wohnungen im festen Glauben an die unverrückbare Schönheit vergangener Formen ausstattete. Aber auch nach dem der Hochphase des bürgerlichen Historismus wurde die Suche nach Schönheit, die Modetrends überdauert weiter geführt. Als Theorie der Guten Form wurde eine sachlich-funktionale Gestaltung in den 1950er Jahren von den Gestaltern Herman Götz und Max Bill geprägt und vor allem durch den Deutschen Werkbund als neues Ideal proklamiert. Zur Heranbildung des „guten Geschmacks” und industrietauglichen Entwürfen diente das Modell der Guten Form später auch als allgemein gültiges Synonym für wertige Gestaltung.
Schlicht und ehrlich
Christian Demand unterstreicht diesen Effekt der Theorie der Guten Form als „kanonisch”4. Heute betrachten wir Möbel, wie den Freischwinger von Mart Stam oder die Wagenfeldleuchte WG 24 als Klassiker der Moderne im Produktdesign – aber warum eigentlich? Demand kritisiert, dass wir die Merkmale der Guten Form schließlich ständig neu erlernen müssen, wir erkennen sie nicht intuitiv. Das Empfinden von Schönheit jedoch sei keine lernbare Fähigkeit, sondern ein Gefühl. „Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.”5 zitiert er Kant. Dieser verweist dabei nicht etwa auf gute Produkte, sondern auf Formen aus der Natur. Die „Schönheit natürlich entstandener Formen sei das „kleinste gemeinsame Vielfache”, auf dass sich die Menschen einigen können. Demands Text beweist wieder einmal, dass es bei Urteilen über die Gestaltung nicht nur um ästhetische und funktionale Eigenschaften geht, sondern auch um die Zuschreibung von ethischen Qualitäten. Ehrlichkeit und Schlichtheit seien vorbildliche Haltungen und werden daher häufig mit „guter Gestaltung” in Verbindung gebracht. Design ist für viele auch ein Zeichen für eine Haltung dem Leben gegenüber 6, Hamburg 1990, §9.]. Dass Formen jedoch keine Ethik enthalten können werde dabei übersehen. Eine Werthaltung werde dem Gegenstand lediglich zugeschrieben.
Das Macbook ist für seine Besitzer also nicht nur ein Symbol für ein Notebook, es wird sogar als Zeichen für Schlichtheit, Ehrlichkeit und damit auch Bescheidenheit verstanden. Das sind in unserer Gesellschaft durchaus respektable Tugenden. So erschließt sich das Macbook einen Kundenkreis, der sich selbst mit diesem Produkt etikettieren will. Das Apple-Produkt kann Statussymbol sein, indem es auf Tugenden verweist, die schon bei der Guten Form maßgeblich waren.
Das beste Macbook bekommt man derzeit für knapp 4000 Euro. Eine Version gleicher Hardware-Leistung der Marke ASUS kostet ca 1600 Euro. Der Konsument handelt also nicht aus Gründen der Bescheidenheit, wenn er sich zum Kauf eines Macbook entscheidet. Im Gegenteil: er möchte zeigen, dass er sich die Reduktion der Zeichen leisten kann. Verzicht auf Ornament ist also keine Tugend, sondern scheint ein Statusmerkmal zu werden. Somit wird die Funktion zu einer Verzierung.
Hochsprache Design
Der Sammelband Ästhetische Werte und Design hilft insofern, den Neo-Kitsch des Macbooks als ein Wechselspiel zwischen Funktionalismus und überschwänglicher Emotion zu lokalisieren, in dem es uns lehrt, dass die ästhetischen Merkmale eines Gegenstands in widersprüchlichen Wertesystemen gelesen und für diese in Anspruch genommen werden können.
Diese Unklarheit in der Lesart ist auf eine nicht allgemeingültige Definition von gutem Design zurückzuführen. Wir können uns für ein Urteil über die ästhetische Qualität eines Produkts zwar auf ästhetische Werte berufen, aber müssen bedenken, dass es immer auf den Zeitgeist und den jeweiligen Kontext ankommt. Genau wie gute Kommunikation nur stattfindet, wenn Sender und Empfänger die gleiche Sprache sprechen. Doch welche Sprache als Hochsprache gilt muss weiter ausgehandelt werden.
- Ästhetische Werte und Design, Hantje Cantz Verlag, Ostfildern, Rainer Schönhammer, Design=Kitsch? S.114 ↩
- Ästhetische Werte und Design, Hantje Cantz Verlag, Ostfildern, Jakob Steinbrenner, Wann ist Design? Desin zwischen Funktion und Kunst. S. 13 ↩
- Definition D: Ästhetische Werte und Design, Hantje Cantz Verlag, Ostfildern, Jakob Steinbrenner, Wann ist Design? Desin zwischen Funktion und Kunst. S. 20 ↩
- Haltung! Wie viel Ethos braucht Design S.33 ↩
- Haltung! Wie viel Ethos braucht Design S.37 ↩
- Zitiert nach Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft [1790 ↩
Den Kitsch Vorwurf bezogen auf das Apple Produktdesign halte ich für Blödsinn. Beim Interfacedesign sieht es jedoch komplett anders aus. Dort haben sich die Apple GUI Designer in Holz- oder Ledertexturen (o.ä.) verliebt.
Liebe Kommentierenden – noch mal zum “Kitschvorwurf”. Der Autor des ursprünglichen Essays wirft dem Apple Design keinen Kitsch vor, sondern vergleicht die Ästhetik und deren Rezeption mit Elementen, die dem Kitsch zu eigen sind. Sozusagen kann eine reduzierte Formensprache dem Autor nach auch den üblichen Kriterien von Kitsch unterworfen werden, obwohl der Autor auch darlegt, dass den reduzierten Formen oft Werte zugesprochen werden, die sie gar nicht beinhalten (können). Der Text ist sozusagen eine Kritik an der Übermacht moderner Ästhetik und deren ethischen und moralischen Impliziten. Eventuell kommt das in der Rezension nicht ganz klar rüber.
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Ich denke, die sind auch ohne Mitgliedschaft zu sehen.
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