„Design reduziert sich auf seine subjektive Bedeutung”
Ein Streitgespräch über die Messbarkeit von Nutzen und Design
Aus der Position des Ökonomen und der des Designers diskutieren Matthias Will und Florian Walzel über die Grenzen der Messbarkeit von Design. Zur Debatte stehen die verschiedenen Sichtweisen auf Nützlichkeit, auf die beide Disziplinen Deutungsrecht beanspruchen.
Matthias Will:
Design und Designforschung rühmen sich oft, Vermittler zwischen verschiedenen Interessengruppen oder Disziplinen zu sein und auf ein reiches Set an bisweilen unorthodoxen Methoden zurückgreifen zu können. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass gerade bezogen auf den Nutzen eine große Ignoranz gegenüber Methoden der Ökonomik unter Designern herrscht. Viele kommen allenfalls durch Marktforschung in Berührung mit objektiven Daten zu Produkten und nehmen nur widerwillig die Bewertung durch den Markt zur Kenntnis. Ich gehe soweit, zu sagen: Designforschung ohne die Erkenntnisse der Ökonomik ist zwar möglich, liefert aber keine Erkenntnisse, um Design funktional einzuordnen. Sich hinter einem diffusen Kreativitätsbegriff zu verschanzen, wie es Design immer noch tut, ist kontraproduktiv.
Zunächst aber einmal der Reihe nach: Erstens ist die Ökonomik – obwohl oft missverstanden – eine positivistische Wissenschaft. Sie versucht, Vorgänge in einer Realität zu beschreiben, in der es ein normatives Umfeld gibt und in der den Einzelnen Subjektivität zugestanden wird.
Zweitens ist aus ökonomischer Sicht die Erklärung des menschlichen Verhaltens durch Nutzen zentral. Ich möchte hierbei insbesondere auf den Ansatz von Gary S. Becker verweisen, der das Wesen individueller Rationalität folgendermaßen pointiert zusammenfasst: „Unlike Marxian analysis, the economic approach I refer to does not assume that individuals are motivated solely by selfishness or material gain. It is a method of analysis, not an assumption about particular motivations. […] Behavior is driven by a much richer set of values and preferences. The analysis assumes that individuals maximize welfare as they conceive it, whether they be selfish, altruistic, loyal, spiteful, or masochistic. Their behavior is forward-looking, and it is also assumed to be consistent over time.”
Was als Nutzen empfunden wird, ist also eine individuelle Angelegenheit und nur bedingt objektivierbar. Allerdings kann man annehmen, dass ein jeder auf seinen Nutzen bezogen versucht, einen guten Schnitt zu machen und dass die Präferenzen des Einzelnen weitgehend stabil sind.
Drittens, der Markt in Analogie zur Politik kann als Wahl beschrieben werden, in der die Konsumenten durch ihre alltäglichen Kaufentscheidungen bestimmen, wer produzieren darf und wer nicht. Dies führt dazu, dass nur der Konsument entscheidet, welches Design sich am Markt durchsetzt. Diese Aussage hat für die Designforschung eine bestimmte Explosivität: Design kann ohne Produzenten- und Konsumentenperspektive überhaupt nicht funktional eingeordnet werden. Nur der Markt und letztendlich die Konsumenten bestimmen, welches Design sich durchsetzt. Design reduziert sich dadurch auf seine subjektive Bedeutung (also Nutzen).
Designforschung darf sich diesem Argument nicht verschließen, da sie sonst keine adäquaten Antworten auf die Probleme ihres Fachs geben kann. Objektive Maßstäbe, was gelungenes Design ist, haben also nur dann einen Erkenntnisgewinn, wenn sie den Erfolg am Markt beschreiben können. Sozialreformerische Ansätze von Designern, wie günstige Produkte für die Massen oder umwelt- und ressourcenschonende Güter, sind nur dann erfolgreich, wenn sie mit den Marktprozessen anreizkompatibel sind. Probleme, für die sich keine anreizkompatiblen Lösungen finden lassen, müssen über das Rahmensystem gelöst werden, was außerhalb der Funktionalität des Designs liegt. Designer weigern sich oft, dies anzuerkennen und überschätzen darum ihren Einfluss.
Florian Walzel:
Ich halte die von Dir skizzierten Prämissen einer Ökonomik für schlüssig, allerdings nur unter Modellbedingungen, das heißt, gemessen an einem idealen Markt. Und da beginnt doch das Problem.
Du hast den Markt mit einer demokratischen Wahl verglichen. Damit Kunden aber ihren Nutzen frei wählen können – und zwar, wie Du sagst, durchaus subjektiv -, muss gewährleistet sein, dass auch Wahlmöglichkeiten existieren.
Gerade das ist aber in vielen Fällen nicht ausreichend gegeben, und dann ist ein solches ideales Modell geradezu irreführend. Ich benutze ein plakatives Beispiel: Irgendwann im Jahr 1908 lief der Ford Model T vom Band, das erste Auto in Serienfertigung. Kunden, wenn sie denn das nötige Kleingeld hatten, konnten nun in Sachen Individualverkehr wählen zwischen der Pferdekutsche und dem Auto. Nutzenmäßig schreibt das Auto am Anfang eine Erfolgsgeschichte. Ganz nach dem von Dir beschriebenen Muster hatten die Leute eine neue Alternative, die der Markt abbildete.
Spätestens seit Mitte der 1970er Jahre sind aber die Nachteile von massenhaftem Automobilverkehr für jedermann ersichtlich (Verkehrstote, Zerrüttung der Landschaften und Stadtstrukturen, Wildschäden, Abgasemission, Lärmbelästigung und so weiter). Natürlich kann man nicht erwarten, Massenmobilität zu erhalten, ohne dafür auch einen Preis zu zahlen. Bei so vielen Nachteilen hätte aber in vierzig Jahren Marktgeschehen bis heute doch ein Hersteller auf die Idee kommen können, ein alternatives Modell anzubieten, das Nutzen und Nachteile anders verteilt, um sich damit am Markt zu differenzieren. Warum ist dies kaum geschehen? Warum geht erst jetzt die fieberhafte Suche nach Alternativen los?
Ich behaupte, weil es gar keine echte Konkurrenz am Markt gegeben hat und dadurch wird auch die Wahl, die der Kunde hat, eine Scheinwahl. Um die Nachfrage nach Autos zu befriedigen, sind Anfang des letzten Jahrhunderts große Industrien entstanden, die zwar eng miteinander verflochten sind, aber gleichzeitig in Konkurrenz stehen. Ein Auto zu entwickeln ist eine aufwändige, teure und langwierige Sache. Also haben sich nicht viele kleine, sondern wenige, große Produzenten herausgebildet.
In der Konkurrenz am Markt steht entsprechend viel auf dem Spiel: Der Flop einer Modellreihe ist ein Riesenverlust und bringt die wenigen anderen Wettbewerber schlagartig in eine bessere Position. Weil es für die Produzenten kein Anreizsystem gibt, zum Beispiel höhere Risiken einzugehen, die mit der Entwicklung alternativer Antriebstechnologien einhergehen, beschränken sie sich auf Produktstyling und „Innovatiönchen” (zum Beispiel elektrische Kopfstützen).
Es geht noch weiter. Wenn etwas schief läuft, wie in der jüngsten Rezession, können starke Industrien den Staat zu einem Akt des quasi-sozialistischen Markteingriffes zwingen und sagen: „An uns hängen so viele Arbeitsplätze, macht etwas, dass wir wieder Autos verkaufen”.
Die Autohersteller sind damit natürlich nicht allein, das hier ist nur ein Beispiel. In beinahe allen industriellen Bereichen gibt es eine Machtkonzentration, gepaart mit einem Mix aus Kooperation und Konkurrenz, die bestimmte Änderungen systematisch verhindert. Was folgt daraus? Eine Ökonomik des Nutzens mag objektiv in der Abbildung sein, aber bezogen auf Funktionalität schließt die Produktionsweise selbst bestimmte Alternativen im Vorhinein aus, die dann gar nicht erst sichtbar werden.
Ein Kunde, der nur zwischen Benzin und Diesel wählen kann, hat eigentlich keine Wahl. Ähnlich wie eine Demokratie, bei der sich die zwei zur Wahl stehenden Parteien abgesprochen haben und unabhängig davon, wer gewinnt, ein Programm durchgezogen wird.
Natürlich stimme ich zu, dass dieses große Themen sind, die nicht innerhalb des Designs sondern – wie von Dir vorgeschlagen – im Rahmensystem verhandelt werden müssen. Aber wir brauchen eine feinere Modellbildung, wenn die Ökonomik überhaupt einen Beitrag zur Bewertung von Nutzen im Design leisten soll. Zwischen „Absatzzahlen” und „Nutzen” besteht kein direktes Korrelat. Zum Beispiel kann sich ein Sportschuh gut verkaufen, weil Michael Ballack den bei einem entscheidenden Match anhatte. Dann bewertet die Ökonomik den Mythos Ballack zusammen mit dem Schuh und anderen Rahmenbedingungen. Wenn ich aber als Designer die Frage habe, welches Textil, welches Material einen besseren Schuh macht, bekomme ich so keine Antwort.
Die Frage lautet also: Wie könnten feinere Modelle aussehen?
Matthias Will:
Du hast eine Vielzahl von Argumenten aufgeführt, die deiner Meinung nach die Leistungsfähigkeit einschränken. Du hast Recht, vollkommene Märkte sind in der Realität sehr rar. Man kann diese auch als „Nirwana” der Ökonomik ansehen. Trotzdem bieten ideale Märkte viele wichtige Erkenntnisse und sind der Ausgangspunkt für weitere und durchaus realitätsnahe Überlegungen.
Die Probleme, die du anhand des Individualverkehrs aufgezeigt hast, sind nicht zu leugnen. Die Antwort aus ökonomischer Sicht wird nun den ein oder anderen überraschen: Der Markt führt hier zu einem Konsum, der für die Gesellschaft zu hoch ist. Aber weshalb? Das wesentliche Problem liegt darin, dass die Verbraucher nicht alle (sozialen) Kosten ihres Konsums tragen müssen. Der Marktpreis ist also zu niedrig. Dies bedeutet konkret: Für die Umweltschäden ist nicht der einzelne Autofahrer anteilig verantwortlich, sondern die gesamte Gesellschaft. Ähnlich verhält es sich mit Lärm oder Straßenbau. Wären alle Folgekosten im Marktpreis enthalten, dann würde sich der Konsum automatisch an eine nachhaltige Variante anpassen. Natürlich ist es schwierig, die exakten Kosten zu bestimmen. Wenn wir also als Gesellschaft davon überzeugt sind, dass ein bestimmter Konsum übermäßig ist, dann müssen wir diesen eben reduzieren. Eine Möglichkeit wäre, eine Konsumsteuer in entsprechender Höhe einzuführen. Jedoch lehrt die Vergangenheit, dass der Staat eher an hohen Steuereinnahmen ein Interesse hat und weniger an einem geringen Konsum (so schließt sich ja meist beides gegenseitig aus). Dieses Dilemma kann aber von der Ökonomik überwunden werden. Klassische Semantik beschränkt sich auf ein Entweder-Oder: Entweder Umweltschutz oder Autofahren, bzw. irgendein Kompromiss dazwischen. Die orthogonale Positionierung überwindet dagegen diese Duopolität und entwickelt Lösungsansätze auf der Basis von Sowohl-Als-Auch. Wie hat man sich das vorzustellen? Um Ruß, Feinstaub, Blei und andere Giftstoffe zu bekämpfen, wurden Partikelfilter, bleifreies Benzin und Katalysatoren erfunden. Jetzt kann natürlich das Gegenargument kommen, „das hat doch die Autoindustrie nicht von alleine gemacht.” Und ich gebe diesem Argument Recht. Denn, wie du richtig geschrieben hast, erbringen Unternehmen nur Innovationen, wenn sie dafür Anreize haben. Diese Anreize können aus dem Marktprozess entstehen (Gewinn aus innovativen Produkten) oder durch eine Anpassung des gesellschaftlichen Rahmensystems. Hieraus kann dann eine weitere wichtige Erkenntnis abgeleitet werden. Wenn die Spielregeln mangelhaft sind, dann wird es auch zu gesellschaftlich unerwünschten Ergebnissen kommen. Dieses Argument soll nicht als Exkulpation von Produzenten und Konsumenten (denn ohne Konsum gibt es auch keine Produktion) dienen, sondern den Blick für eine erweiterte Problemwahrnehmung öffnen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen und nicht in eine Schuldsemantik zu verfallen.
Nun aber noch ein Nachtrag zum Automobilmarkt: Wie bereits angedeutet, kommt es im Innovationsprozess bei zu geringen Gewinnanreizen zu Stillstand. (Deshalb gibt es auch gute Gründe, die für eine staatlich finanzierte Forschung sprechen.)
Das 3-Liter-Auto war in dieser Hinsicht wohl eine Ausnahme progressiver Industrieforschung. Die Hersteller haben den Markterfolg allerdings vollkommen falsch eingeschätzt und ein vergleichsweise umweltschonendes Produkt entwickelt, das keiner kaufen wollte. Hiermit kann man auch deine Forderung an die Ökonomik verbinden, konkrete Fragestellungen des Designers zu lösen. Wir leben in einer Welt, in der Informationen nicht oder nur unter hohen Kosten verfügbar sind. Dieser Fragestellung nimmt sich praxisrelevant die Marktforschung an. Für das ökonomische Modell bedeutet das aber, dass auch Informationen zu Kosten werden und die Verfügbarkeit dieser zu Markterfolg führen kann.
Und zum letzten Argument: Zur Rettung der Automobilhersteller durch die Politik müssen zwei wesentliche Punkte angeführt werden: Wer Autos produziert, die keiner kaufen möchte, der ist kein Fall für die Politik, sondern für den Insolvenzrichter. Haben die Politiker aus ökonomischer Sicht also irrational gehandelt? Aus einer streng ökonomischen Sicht: Ja. Wendet man jedoch einen erweiterten Rationalitätsbegriff an, dann nein. Wenn ein Politiker die Absicht hat, an der Macht zu bleiben (oder auch an diese zu kommen) und der Wähler belohnt ihn für populistisches Verhalten, dann ist es für den Politiker zweifelsohne rational, mit Steuergeldern verschwenderisch umzugehen. Bei der Erwähnung des Problems möchte ich es an dieser Stelle belassen.
Florian Walzel:
Ich gebe Dir dahingehend Recht, dass diesseits des „Nirwana der Ökonomik” durchaus wertvolle Impulse in der Disziplin zu finden sind, gerade wenn es um Anreizkompatibilität und die Überwindung einer zu einfachen moralischen Duopolität (gut/schlecht) geht.
Ich würde, nachdem wir sehr stark in den Makrobereich gegangen sind und über Märkte und Marktsteuerung gesprochen haben, gern noch einmal zu zwei zentralen Aspekten Deiner Ausgangshypothese zurückkehren.
Du sagt unter anderem: Nur der Markt und letztendlich die Konsumenten bestimmen,
welches Design sich durchsetzt. Und: Objektive Maßstäbe, was gelungenes Design ist, haben nur dann einen Erkenntnisgewinn, wenn sie den Erfolg am Markt beschreiben können.
Ich glaube, an diesen beiden Punkten lässt sich am stärksten die Wahrnehmungsdifferenz zwischen design- und ökonomieimmanenter Perspektive verdeutlichen: Ökonomik ist positiv, reduktionistisch und wertfrei, Design weltanschaulich, narrativ und (be-)wertend.
Während die Ökonomik zwar anhand von Marktdaten in der Lage ist, zu objektiven Ergebnissen zu gelangen, muss Sie dafür den Preis zahlen, dass sich ihre Schlüsse immer auf die Vergangenheit beziehen und, dass sie immer nur ein beschränktes Set an Daten dafür heranziehen kann (wie im Grunde alle wissenschaftlichen Aussagen). Design hingegen ist mit Entwürfen beschäftigt, also der Umsetzung von Ideen in die Wirklichkeit. Dabei geht es um die Schaffung von „Neuheit”, für die bekannte Daten nur bedingt hilfreich sind. Schließlich steht am Anfang die Projektion einer Vorstellung in die Zukunft und die Bewertung der Chancen in der Umsetzung. So etwas kann im eigentlichen Sinne niemals objektiv sein, weil der gewünschte Zustand, in Zukunft einen nützlichen Gegenstand oder eine Serviceleistung zu haben, immer auf einer Wertung basiert („Wäre es nicht gut, wenn … ?”). Dabei greifen Designer oft auf ein implizites Set von Erfahrungen, Vermutungen und erzählerischen Mustern zurück, die sich überhaupt nicht streng objektiv ausweisen können, deswegen aber auch nicht beliebig sind.
Ich gebe ein einfaches Beispiel: Aus allen Marktdaten der Welt über Handy- und Laptopverkäufe ließe sich nicht die Information gewinnen, dass das iPhone qua Design, Interface und vernetzten Services den Mobiltelefonmarkt neu ordnen würde. Apple hat seinerseits aber die Chancen so hoch bewertet, dass 50% (!) des überhaupt vorhandenen Budgets der Firma in Entwicklung und Distribution eines einzigen Gerätes geflossen sind. Will heißen, dass die Sache „heiß” war, ahnten die Entwerfer und Entwickler im Vorhinein. Die Ökonomik kann – ähnlich wie alle „me-too”-Anbieter – erst im Nachhinein auf den Zug aufspringen und eine Begründung oder Konstruktion anbieten, warum dieses und jenes erfolgreich war und etwas anderes nicht. Das soll keine Abwertung der Ökonomik sein. Es geht um zwei ganz verschiedene Ansätze und Aufgabenbereiche, die sich gegenseitig eben auch abschatten.
Wenn ich planen und entwerfen will, tue ich als Designer gut daran, die Daten der Vergangenheit bezüglich ähnlicher Probleme zu beachten, genauso gut tue ich aber daran, mich von diesen Daten an gegebener Stelle frei zu machen. Horst Rittel hat im Kontext sozialer Planbarkeit den Begriff des Wicked Problem geprägt. Ein Wicked Problem ist bestimmt durch unvollständige Beschreibbarkeit wegen hoher Wechselwirkung eines Teilsystems mit anderen Systemen, oft widersprüchlichen Anforderungen, nicht reduzierbarer Komplexität und wechselnden Konstellationen und Bedingungen. Egal welchen Designbegriff man anlegt, Designprobleme sind eigentlich immer solche Wicked Problems. Und genau um solche macht die Ökonomik gern einen Bogen, ohne das aber auszuweisen.
Meine Kritik an der von Dir vorgetragenen Position der Ökonomik ist folglich nicht, dass sie nicht schlüssig ist, sondern dass sie einen zu hohen Geltungsbereich fordert. Wenn Du sagst, letztlich bestimmt nur der Markt (als Summe subjektiver Nutzenüberlegungen), was gutes Design ist, dann handelt es sich dabei um einen Zirkelschluss. Im Sinne: „Was sich zeigt, ist gut und gut ist, was ich zeigt.” Über den Kern der subjektiven Wünsche und Bedürfnisse, die ein außergewöhnliches Design ansteuert, weiß ich rein gar nichts. Ich weiß immer erst, dass es so ist, wenn es so ist. Das ist eine Form von Registratur der Wirklichkeit, nicht eine Erklärung, und damit eine Art von naturalistischem Fehlschluss, wenn man versuchen würde, daraus Urteile zu gewinnen. Deswegen sehe ich die Rolle der Ökonomik in einer „Auswertung”, nicht in einer „Bewertung” von Design. Kritisch wird es erst, wenn die Ökonomik zuerst Objektivität beansprucht (zu der auch Wertneutralität zählt) und hinterher doch versteckte Werturteile vornimmt, die sie aber als objektiv ausgibt.
Mein Vorschlag ist also, der Ökonomik die Rolle einer analysierenden Instanz zuzubilligen, in der Frage aber, was ein „gutes” oder eingeschränkter „funktionales” Design ist, einen deutlich breiteren Erkenntniszugang zu fordern. Zu einem solchen führen nicht streng objektive Urteile, sondern eine Form von Erfahrungswissen oder „Embodied Knowledge”, dass kaum von seinen Trägern abzulösen ist, aber gerade dort Antworten geben kann, wo Daten schweigen. Nimm als Beispiel die Seefahrt: Seit hunderten von Jahren sind die Menschen in der Lage, sich den Wind mit Segeln zu Nutze zu machen. Die objektive, wissenschaftliche Beschreibbarkeit hingegen hängt so weit hinterher, dass viele Strömungsverläufe am Segel nur modellhaft angenähert aber heute noch immer aber nicht korrekt berechnet werden können. Wenn man mit der funktionalen Einordnung von Design immer erst warten würde, bis die Ökonomik Zahlen erhoben hat, wäre Amerika noch unentdeckt. Es gibt eben eine Richtigkeit von Erfahrung, die sich erst im Machen und in der Darstellung zeigt.
Matthias Will:
Dein Vorschlag, die Designlehre als Erfahrungswissen oder „Embodied Knowledge” zu beschreiben, empfinde ich für unsere Diskussion als sehr produktiv. Auch zeigt sich an deiner Beschreibung des Designs sehr gut die Abgrenzung zur Ökonomik. Einen Punkt möchte ich nochmals hervorheben, denn hieran kann die Designlehre nicht vorbeikommen. Zweifelsohne können die beiden von dir aufgeführten Zitate dahingehend interpretiert werden, dass die Wirtschaftswissenschaft nur ex ante feststellen kann, was gelungenes Design ist und was vom Kunden nicht gewollt wurde. Für die empirische Marktforschung trifft dies auch weitestgehend zu. Jedoch ermöglicht es der ökonomische Ansatz, nicht nur ex ante den Erfolg von Produkten zu bewerten. Das Konzept von Angebot und Nachfrage ist eine Methodik, die dem Designer sogar ex post wesentliche Fragen stellt, an denen er nicht vorbeikommt, wenn seine Produktentwicklung Erfolg haben soll. Natürlich kann hier das Urteil nur subjektiv ausfallen, denn wie du richtig angemerkt hast, ist das Vorhersagen der Zukunft schwierig bis unmöglich. Ich möchte nur auf Punkte aufmerksam machen, die einem gelungenen Design zumindest immer impliziert werden, obwohl das Design als Lehre sich schwerpunktmäßig mit technischem Wissen und Ideenfindung befasst. Zweifelsohne macht das auch Sinn. Jedoch ist dies nicht ausreichend, um den letzten Schritt des Designs zu erfassen: von der Fertigung zum Designnutzer. Auf dem Weg von der Idee zum Anwender, ist dieser Schritt aber genauso wichtig, wie die eigentliche Idee. Hierfür hat das Design jedoch keine eigenständigen Antworten und ignoriert – so ist zumindest mein Eindruck – diese Problematik häufig. Um diese Lücke zu schließen, kann das Design eigentlich nicht am ökonomischen Konzept von Angebot und Nachfrage vorbeikommen.
Erfolgreiches Design muss sich auf der Angebotsseite damit auseinandersetzen, wie gut und stark die Konkurrenz ist und ob die eigenen Ideen technisch überhaupt umsetzbar sind. Für die Nachfrageseite sind entscheidende Fragen, ob der Kunde ein Interesse an der Idee hat (also einen Nutzen) und ob der Nutzen des Anwenders am Produkt so hoch ist, dass die Zahlungsbereitschaft der Kunden die Kosten der Herstellung übersteigt. Vorher weiß das natürlich keiner. Vielmehr muss eine mehr oder weniger subjektive Erwartung über den Erfolg gebildet werden. Du hast in deinem Beispiel Apple aufgeführt und gerade dieses Unternehmen ist ein tolles Beispiel dafür, dass die Betrachtung des Marktes einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn für das Design bringt. Der Erfolg von Apple besteht nicht darin, dass das Unternehmen klassisches Design von Braun ans neue Jahrtausend angepasst hat. Vielmehr schafft Apple Produkte, die den Kunden aufgrund der Technologie einen enormen Nutzen generieren. Apple ist hierbei sogar so innovativ, dass das Unternehmen nicht in bestehende Märkte eindringt, sondern durch die verwendete Technologie neue Märkte schafft. Dies gilt beispielsweise für den iTunes Store, welcher der Musikbranche einen neuen Vertriebsweg aufgezwungen hat, aber auch für das iPhone, das bei der Einführung konkurrenzlos war. Apple war natürlich bewusst, dass nicht nur Produkte eingeführt, sondern neue Märkte definiert werden. Deswegen rechtfertigt sich auch betriebswirtschaftlich das exorbitant hohe Entwicklungs- und Distributionsbudget. Design, das dagegen in bestehende Märkte eindringen möchte, hat es ungleich schwerer, was sich auch an geringeren Entwicklungs- und Produktbudgets zur Risikominimierung widerspiegelt. Der Designer ist ein Unternehmer und Unternehmer sind nach Joseph Schumpeter „die Wirtschaftssubjekte, deren Funktion die Durchsetzung neuer Kombinationen ist und die dabei das aktive Element sind.” Designer schaffen nicht nur Innovationen sondern auch Fortschritt, wenn die Innovationen einen Anwender finden. Jedoch müssen Designer und Unternehmer mit „dem Gegendruck [fertig werden], mit dem die soziale Umwelt jedem begegnet, der überhaupt oder speziell wirtschaftlich etwas Neues tun will. Dieser Gegendruck kann sich zunächst im Vorhandensein rechtlicher oder politischer Hindernisse äußern. Aber auch abgesehen davon, wird jedes abweichende Verhalten eines Gliedes der sozialen Gemeinschaft missbilligt, freilich in sehr verschiedenem Maß, je nachdem wie die soziale Gemeinschaft an dergleichen gewöhnt ist oder nicht. […]” . Hier kommt dann schließlich die Ökonomik an ihre Grenzen.
Zu dem Thema bin ich kürzlich auf dieses Buch gestossen:
http://www.dmi.org/dmi/html/publications/news/viewpoints/nv_vp_dvi_roi.htm
Hab es aber noch nicht gelesen und kann daher kein Urteil abgeben.