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Interview mit Prof. Michael Braungart – Macht doch mal selber Qualität!

Setzt euch doch mal zusammen. Macht doch mal selber Qualtität! Interview mit Prof. Michael Braungart.

Prof. Michael Braungart ist vielen Designern, vor allem aus dem Produkt-Design ein Begriff. Sein Konzept Cradle-to-Cradle®, das nicht mehr in Lebenszyklen, Verbrauch und Müll denkt, sondern einen positiven Approach an Stoffkreisläufe anwendet ist hochaktuell. Der Antrieb des promovierten Chemikers ist der Wille nach umfassender Qualität – Produkten, die kein „chemical harrassment“ darstellen und Designern, die ihre Arbeit wertschätzen. In den zwei Interviewteilen, die wir der Authentizität halber weitgehend transskribiert haben und die Länge zulassen, spricht Designkritik.dk mit Prof. Braungart über die Profession der Designer, was sie können und wissen sollen und warum Schluss mit dem Schuldmanagement sein muss. Auch die Fragen unserer Facebook-Community hat Prof. Braungart beantwortet.

(*1958) Dipl.-Ing. Prof. Dr. Michael Braungart ist Chemiker und Verfahrenstechniker, also molekularer und konzeptioneller Designer. Das Prinzip Cradle-to-Cradle formulierte er gemeinsam mit seinem Partner, dem Architekten William McDonough. Grundlage von Cradle-to-Cradle ist, dass es den Begriff vom Müll abschafft und in Stoffkreisläufen der Biosphäre und der Technosphäre denkt. Ausführliche Vorstellung von Cradle-to-Cradle in diesem  TED Video

In den Augen der Designer hat das Marketing die Effizienz in das Design hereingebracht, und das ist auch schon lange das Feindbild gegen die guten Ideen und die guten Absichten, die wir Designer haben. Die Designer sind immer schockiert über die Giftigkeit ihrer Materialien, wenn sie es erfahren. In der Regel erfahren sie es aber nicht und geben nur ihre Entwürfe ab.
Das ist ungeheuer oberflächlich. Es interessiert im Grunde gar nicht, was das ist, es soll nur nett aussehen. Die Designer wollen gar keine Designer sein, sondern nur Behübscher.  Zum anderen sind sie ungeheuer unsicher, weil sie sich gar nichts trauen. Denn die Designer könnten tatsächlich die Gestalter für die Dinge sein.

Die Designer sind oft im Marketing angesiedelt….
Und das ist traurig, denn die Gestalter könnten eigentlich tatsächlich die entscheidenden dabei sein und viel viel schönere Dinge machen. Aber sie haben sich in die Nische der Behübscher drängen lassen. Designer haben erstaunlicherweise ein Problem mit dem Selbstwertgefühl.

Diese Erkenntnis ist mittlerweile bei den Designern angekommen. Und sie wollen es ändern.
Aber sie tun es nicht.

Für die Herstellung eines Joghurtbechers werden absichtlich 126 Chemikalien hinzugegeben.126! Aber dann sind die aber gar keine sauberen Chemikalien, diese Chemikalien sind verunreinigt. Die Verunreinigungen lässt man drin, weil man sich die Abfallentsorgungskosten sparen kann. Das heißt, insgesamt sind in einem einfachen Joghurtbecher sogar 600-800 Chemikalien enthalten. Jetzt kann ich natürlich für jede Grenzwerte festlegen. Aber wenn die Designer nur ein bisschen Selbstwertgefühl hätten, würden sie sagen: Nein! Ich will das wissen! Und ich will kein „Chemical Harrassment” machen. So wie sexuelle Belästigung  ist chemische Belästigung sogar noch viel mieser, weil man sich nicht mal dagegen wehren kann.

Jetzt müsste ich als Designer gar nicht wissen, welche popelige Chemikalie da drin ist, ich müsste nur sagen: Finde ich das in Muttermilch wieder – ja oder nein? Kann ich es kompostieren – ja oder nein? Kann ich es verbrennen ohne Filter – ja oder nein?  Ganz einfache Designfragen. Und dann könnte man sich Leute wie mich, die Ingenieure sind, die Chemiker sind, als „Material Boys” halten. Ich würde gerne zuarbeiten an die Designer. Aber was passiert? Ich werde inzwischen Designer, weil die Designer so erstaunlich anspruchslos sind. Weil sie einfach sagen: Naja, besser weiß ichs ja gar nicht. Anstatt zu sagen: Hey, ich will stolz auf meine Arbeit sein!

Da gibt es bei den Designern auch langsam ein steigendes Bewusstsein darüber. Die Designer stecken in diesem Dschungel an Informationen über Materialien.  Wo kriege ich denn eigentlich die gute Information?
Eigentlich brauchten sie die gar nicht – sie müssen nur die richtigen Fragen stellen. Mein bester Freund ist ein Designer McDonaugh, das ist der beste Chemiker, den ich kenne, weil er einfach nur Fragen stellt. Er sagt nur „Biosphäre – Technosphäre” – erster Punkt. Es hat ganz unterschiedliche Anforderungen dazu. Ich kann zum Beispiel einen Fernseher als Informationsverpackung nie ohne Kupfer machen. Aber im biologischen System ist Kupfer ungeheuer giftig. Wenn ich das Grün angucke, vor allem das Grün in Verpackungen, das ist immer noch ein absolut stinkiges Giftgrün, Grün 7, ein Kupferpigment, was völlig durchchloriert ist.  Wenn die Verpackungen verbrannt werden, dann ist das immer eine Quelle für Dioxine, immer. Wenn ich also frage: „Kann ich es wegschmeissen? Kann ich es in einen Ofen packen und verbrennen und würdest Du die Asche in den Garten tun?” würde das völlig reichen.

Das heißt, die Gestaltungsanforderungen an die Ingenieure und Chemiker zurückzugeben. Sich nicht in den Datenbanken zu verlieren, warum denn? Dazu sind die anderen ja da, ihnen das zu sagen. Wenn sie nur sagen: das Design ist die Priorität. Das Primat des Designs endlich selber für sich zu akzeptieren, würde völlig reichen. Stattdessen verschanzen sie sich in einer komplexen Welt von schädlichen Stoffen, anstatt nur die richtigen Fragen zu stellen!

Deshalb ist es gut erstmal zu sagen: Hey, wir sind wichtig. Lass uns unsere Rolle auch wahrnehmen – als Aufforderung an alle jungen Designerinnen und Designer: Studiert Design, aber mit einem gesunden Machtanspruch! Auch nicht mit einem Behübschungsanspruch – mit einem echten Gestaltungswillen.

Ist den Müll-Machen auch eine Mentalitätsfrage? Wie kann zum Beispiel Kommunikationsdesign darauf eingehen? Kann man das auch noch besser machen, zu kommunizieren, was drin und dran ist?
Zunächst mal ist das Wegwerfen ein lustvoller Vorgang, eine Form, wie man sein Revier markieren kann. Die Leute in Italien schmeissen im hohen Bogen weg, nur die falschen Dinge, weil das Design dafür nicht geeignet ist.  Die Leute schmeissen jeden Tag aus den Zügen in China etwa 60 Millionen Verpackungen – jeden Tag! Un die nennen es im doppelten Sinne: „weisse Verschmutzung”, weil es ist das Styropor-Zeug. Früher waren es irgendwelche Blätter, aber das Styropor schafft meterhohe Berge. Vorher waren die Bahndämme die fruchtbarsten Gemüsegärten, heute sind es weiße Berge, weil die Leute ihre Dinge rausschmeissen. Es sieht aus, als wenn es geschneit hätte. Das ist doch primitiv. Da kommen wir dann wieder auf Ideen wie Einsammeln, Verbrennen etc. Anstatt zu fragen: Was ist für einen Zug die richtige Verpackung?

Also muss es immer lokal gelöst werden?
Ja klar! Deshalb ist in Cradle-to-Cradle die Vielfalt das Wichtige, es gibt keine allgemein gültigen Lösungen. Es geht um Diversität.  Es gibt einen Anspruch an Vielfalt, an zwei Beispielen erklärt: Wenn sie in Nordschweden laufen, ist ihr Fussabdruck schädlich, deshalb wollen sie ihren Fussabdruck minimieren. Jeder Fussabdruck zerstört die Bodenoberfläche und verursacht Erosion, weil die feine Vegetation stirbt, wenn sie darauf treten. Wenn sie aber in Italien in der Toscana sind, bedeutet ihr Fussabdruck, dass das Wasser länger in der Wiese stehen bleibt, das heißt, warum nicht einen großen Fußabdruck haben, damit die Wiese ein Feuchtgebiet wird. Es gibt keine Standardlösungen, sondern lokal-regional zweck- und Ort angepasste Designs für die es ganz unterschiedliche Verwendungszwecke gibt. So geben wir uns die kulturelle Identität zurück. Wenn man die gleiches Design in China und Europa hat, ist das die Respektlosigkeit gegenüber Kultur. Design ist ja immer auch Ausdruck von Kultur. In manchen Kulturen passt Recycling halt einfach nicht. Cradle-to-Cradle sagt den Leuten nicht, wie sie sein müssen, sondern unterstützt sie dabei, wie sie sein wollen.

Sie schaffen es ja offenbar, die Akteure auf Augenhöhe zu vernetzen. Meist arbeiten Spezialisten nebeneinander her, ohne etwas voneinander mitzubekommen.
Ich war einer der Protagonisten bei der LEED-Zertifizierung in den USA. Den Architekten ginge es so in den USA: Die sind immer mehr unter Kostendruck gekommen, mussten sich prostituieren für irgendwelche Developer, bis sie dann sagten: Das reicht!  George Bush war eigentlich ungeheuer hilfreich für uns, weil klar war: Die Regierung tut nichts.

Wenn sie das erlebt haben, wie 30-, 40000 Architekten zusammenkommen in Chicago und sagen: Es reicht uns! Wir wollen Qualität haben, deshalb machen wir eine LEED-Zertifizierung. Silber, Gold, Platin-Zertifizierung für Gebäude, die Standards einhalten, und zwar Gesundheitsstandards und ökologische Mindeststandards einhalten. Dann wissen sie: Ey, wo ist das Designertreffen? Setzt euch doch mal zusammen! Macht doch mal selber Qualität, die umfassend definiert ist!

Frank Hofmann: Wird Abfall im Sinne des Cradle-to-Cradle Kreislaufes eines Produktes definiert nur durch dessen Abbaubarkeit durch natürliche oder menschliche Einwirkung?
Es gibt gar keinen Abfall im Cradle-to-Cradle! Auch selbst wenn sie an „0 Abfall” oder „Abfall vermeiden” denken, denken sie immernoch an Abfall. Darum gibt es auch keinen Abfall-Begriff, sondern es gibt nur Nährstoffe für die Biosphäre und die Technosphäre. Dabei ist die Natur letztlich nur produktiv, wenn sie nicht „sauber” ist, wenn sie schmutzig, schlammig, dreckig ist. Es geht nicht um sauber, sondern um biologisch nützlich oder technisch nützlich. Wie gesagt, Kupfer ist biologisch ungeheuer giftig, technisch ungeheuer nützlich.  Darum sind die Biosphäre und die Technosphäre auseinanderzuhalten. Die Biosphäre braucht die Abbaubarkeit oder die Verbrennbarkeit ohne Filter.

Das sind Kriterien, die in der Zertifizierung eine Leitlinie sind?
Die Zertifizierung ist nur eine Marketing-Hilfskonstruktion. Weil die eigentliche Cradle-to-Cradle findet statt über Transparenz. Über einen Weg, den man beschreibt und den man dem Kunden mitteilt. Den Weg kann er verfolgen übers Internet. Da braucht er eigentlich keine Zertifizierung. Zertifizierung ist letztlich nur für Angstgesellschaften, darum natürlich, wenn Menschen Angst haben, müssen sie etwas rechtlich einklagbares haben. Und selbstverständlich wird in der Zertifizierung der biologische und technische Nährstoffkreislauf abgefragt. Ein Produkt ist nicht zertifizierbar, wenn es nicht der Bio- oder Technosphäre zugeordnet wird.

Frank Hofmann:
Wieviel Abfall nach einem Produktlebenszykluses muss man derzeit hinnehmen, wenn man sich dieser Idee nähert? wird die Menschheit nicht im Ganzen verwertet von der Natur, wenn sie an den Problemen scheitert? Ist Planwirtschaft näher an der Cradle-to -Cradle Idee als eine Überfluss produzierende Marktwirtschaft?
Nein, natürlich nicht. Es geht um intelligente Verschwendung. Es geht uns erstmal darum, die Marktwirtschaft ernst zu nehmen. Im Moment wird der Gewinn immer privatisiert und das Risiko vergesellschaftet. Das ist wie bei der Atomtechnik, bei der Gentechnik, – aber auch bei Verpackungen. Nehmen sie Windeln: Zahlt die Firma Procter&Gamble für die Abfallbeseitigung? .Aber der Ausgangspunkt ist ein anderer – es gibt in Cradle-to-Cradle keinen Müll, nur Nährstoffe. Und das wichtige ist: Es gibt keinen „Produkt-Lebenszyklus”. Weil die Produkte leben gar nicht. „Lebenszyklus” führt sofort zu menschlichen Projektionen. „Langlebigkeit” und solche Dinge… Wir brauchen definierte Nutzungszeiten! Nur weil wir lange leben wollen, sollen die Produkte auch lange leben?! Wenn ich ihnen einen Rechner vorbeibringe und sage „Der hält 50 Jahre”, dann sagen sie: Was für ein Trottel! Damit ist der Innovationsfortschritt überhaupt nicht möglich. Also darum: Menschliche Projektionen raus – Biosphären- und Technosphärenmanagement durch entsprechendes Gestalten.

Frank Hofmann:
Gehören demnach Produkte die nicht verkauft werden können und Produktionsanlagen auch in den definierten Systemkreis des Cradle-to-Cradle Produktes?”
Ja, im Moment ist es so, das es tatsächlich Sonderabfälle gibt, die tatsächlich nichts anderes sind als „Nicht-vermarktbare Produkte”. Darum gehören sie natürlich demjenigen, der sie herstellt. Warum hat die Allgemeinheit damit irgendetwas zu tun? Da würde sich die Gestaltung schnell ändern.

Frank Hofmann:Wenn ich Produkte herstelle mit Atomstrom ist dann der Cradle-to-Cradle-Prozess nicht unkalkulierbar?
Atomstrom ist mit Cradle-to-Cradle nicht vereinbar! Trotzdem gibt es natürlich Schritte, wo man zuerst mal identifiziert, woher die Energie kommt. Das ist ein Prozess und in diesem Prozess gibt es die Grundzertifizierung von Cradle-to-Cradle, das ist „Basic”, wo man erst einmal definiert, was es ist, und woran man zu arbeiten hat. Wenn man das System definiert hat, so wie die 126 Chemikalien in einem Joghurtbecher und dann definiert die Dinge herausnimmt, die die Biosphäre oder die Technosphäre verhindern; dann kann man am Energieteil auch arbeiten. Und natürlich ist dann ein Plan vonnöten, wie man Energie positiv werten kann, wo dann natürlich kein Atomstrom dabei sein kann. Aber: ich bin heute auch mit dem Zug hier hergekommen und der Zug hat durchaus auch Atomstrom-Anteile dabei. Trotzdem kann ich hingehen und sagen: Dieses Produkt ist im Prinzip richtig, so dass ich es optimieren kann. Darum gibt es ja auch verschiedene Stufen der Zertifizierung.

Nina Gellersen: Lässt sich das cradle-to-cradle-Prinzip auf alle Produkte anwenden und falls ja: Wieso gibt es dann z.B. noch keinen Computer, kein Mobiltelefon oder kein Flugzeug, das in biologischen und technischen Kreisläufen funktioniert?

Es lässt sich auf alle anwenden. Der Phillps Econova ist von den technischen Produkten das weitgehenste. Ein Fernseher, der ist wegen der Arbeitsteiligkeit der Systeme noch nicht perfekt, aber er hat erstaunliche Elemente drin. Dieser neue Fernseher, ärgerlicherweise „Econova” bezeichnet, obwohl er einfach nur der beste Fernseher ist, hat in seinen LEDs keine seltenen Erden. Er hat reversible Klebeverbindungen. Er hat Material als technischen Nährstoff und es ist der erste Fernseher der Welt, der keine Halogenverbindungen drin hat, auch kein PVC. Alle Voraussetzungen für Cradle-to-Cradle erfüllt. Dabei ein wunderbares Produkt, wird aber als „Econova” beworbe wie blöde, dabei ist es einfach nur der beste Fernseher. Dieser Fernseher ließe sich allein durch die Energieeinsparung finanzieren. Man könnte ihn den Leuten schenken, wenn man nur die Stromersparnis über 8 Jahre kriegen würde. Es gibt inzwischen hochkomplexe Produkte als Cradle-to-Cradle, die trotzdem noch Dinge haben, an denen optimiert werden muss, weil innerhalb der Supply-Chain noch Bereiche sind, die nicht optimiert sind. Wo auch dazugehört, dass der Gesetzgeber völlig absurde Regelungen macht, die ungeheuer viel Geld kosten, und nichts bringen – was ich „Ökologismus” nenne.

Die Europäer haben festgelegt, dass in Elektronikgeräten kein Blei mehr in den Lötverbindungen sein darf. Der Ersatz ist immer minderwertig. Und es hat niemand gefragt, was stattdessen drin ist. In einem Fernsehr finden wir 4360 verschiedene Chemikalien. Was hilft es mir jetzt, das Blei herauszunehmen? Wenn dann noch 4359 andere da sind? Und nur das Blei selbst wird ersetzt durch Zinn, Silber, Nickel, Kupfer und Wismut und damit durch 5 seltene oder vergleichbar giftige Substanzen. (…) Und es führt dazu, dass in Afrika noch viel mehr Blei ist, denn Wismut kommt in der Natur nur in Verbindung mit Blei vor. Wenn ich eine Tonne Wismut herstelle, um Blei zu ersetzen, erzeuge ich mindestens 10 Tonnen Blei. Die Dinge nur „frei von” zu machen, nutzt nichts, wir müssen positiv definieren was drin ist. Dann können wir es für die Biosphäre oder Technosphäre optimieren. Das heisst es geht natürlich für alle Produkte, es gibt überhaupt keine Eingrenzung – im Gegenteil. Es schafft eine viel bessere Qualität letztlich. Trotzdem fängt man dann erstmal an, Dinge bei Adam und Eva zu ändern. Dieser Econova ist der erste Fernseher, der für Innenräume überhaupt geeignet ist –  weil er keine Schadstoffe abgibt, so wie die meisten anderen Geräte. (…) Aber das Kommunikationsdesign findet über irgendwelche Öko-Trottel statt, die dann sagen „O, ich hab auch Kinder”. Ich kann ihnen sagen, ich habe 3 Kinder: Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, Kinder zu haben – keinen einzigen. Aber trotzdem ist es das schönste, das sie sich vorstellen können.   Also ausgerechnet bei Umwelt vernünftig sein zu wollen, ist dumm. Weil es nur für die 5% Lehrer und Studenten sich eignet. Für normale Leute nicht.

Ist das ein besonders Deutsches Verhalten? Deutsche mögen ja Siegel und Label mit Garantien sehr gerne. Die Deutschen mögen besonders das Schuld-Label gerne. Die Moral kommt aus dem schlechten Gewissen. Deshalb haben die Deutschen ja auch die Nachhaltigkeit erfunden. Man hatte 1712 in Sachsen den Begriff gewählt, als der Wald abgeholzt war. Aber wenn man immer nur das wieder gut macht, was man vorher schlecht gemacht hat, dann mit der mehrmaligen totalitären Vergangenheit, die uns noch zusätzlich schuldig fühlen lässt – das ist keine gute Basis. Es gilt aber auch für Italiener und Franzosen. Es ist keine „typisch deutsche” Geschichte, es ist nur in Deutschland besonders ausgeprägt aufgrund der Schuldgefühle aus der Vergangenheit. Aber auch die anderen in den USA z.B. Machen den Kunden immer zum Feind: Jedes Öko-Siegel sagt den Kunden immer: „Wenn du’s gar nicht kaufst, ist es ja noch viel besser! – Musst du’s wirklich haben?”

Aber wir sagen: Hey, mach doch aus, wo du sein willst 2020, bestimme; wo dein Ziel ist und dann kannst du sagen: Je mehr du kaufst, desto eher sind wir da. Der Kunde ist dein Freund, nicht dein Feind, der dich davon abhält, 0 zu sein.

Unsere natürliche Lebenserwartung ist 30 Jahre. Die Natur stellt die stärksten Krebserzeugenden Stoffe her, die giftigsten Stoffe her. Die Natur braucht uns nicht, wenn wir älter als 30 sind. Wir haben unsere Kinder zwischen 15 und 25 und dann können wir in die Biosphäre zurückgehen. Das wir älter werden liegt an Design! An Gestaltung. Da liegt daran, dass wir sichere Lebensmittelverpackunge machen z.B. Und dass unser Zeug nicht von Bakterien verseucht ist. Und das können wir feiern! Wenn wir uns immer entschuldigen dafür, machen wir auch immer Schuldmanagement. Die Natur war nicht nett zu uns, darum haben wir sie zerstört und jetzt fühlen wir uns schuldig dafür.

Was wichtig ist, zu verstehen, ist, dass es keine „Mutter Erde” gibt, weil die Mutter würde ihrem Kind z.B. Keinen Krebs geben. Es gibt nur Partnerschaft mit der Natur. Wir können von der Natur lernen. Die Natur kann unsere Lehrerin sein; aber nicht unsere Mutter. Warum ist Cradle-to-Cradle in Holland so erfolgreich? Weil in Holland können die Leute die Natur nicht romantisieren. Dadurch schützen wir die Natur zu Tode, sozusagen. Aus Schuld sind wir auch nicht kreativ. Die Holländer können das nicht – ich lebe z.B. In Holland in einem Haus, das 17m unter dem Meeresspiegel liegt. Wenn ich da von Mutter Natur schwafeln würde, würde die nächste Flutwelle mich einfach mitnehmen. Es geht darum, sich zu behaupten und stolz zu sein auf das, was man selber kann. Und das ist im Wesentlichen eine Designgeschichte. Das Design bestimmt über Gesundheit und Krankheit. Das Design bestimmt über Lebensmöglichkeiten.

Nina Gellersen: Gibt es Ihrer Ansicht nach bestimmte Produkte oder Produktgruppen, wo eine gesteigerte Ressourceneffizienz (z.B. Mips/ «Faktor 10») der sinnvollere Gestaltungsansatz ist? Wenn ja, welche?

Es gibt durchaus einen Punkt, wo ich recht geben kann: Lassen sie uns ein Design machen, das für 10 Milliarden Menschen wirklich geht. Und dort ist in der Tat dann z.B. Seltene Erden aus solchen Produkten herauszuhalten. Und wenn mans nicht kann, dann ist Effizienz eine Strategie; länger mit den Materialien umzugehen, die uns extra Zeit gibt. Also vor allen Dingen für Stoffe, die selten sind. Wenn man das aber auf Energie überträgt, gilt das nicht allgemein. Nur dann, wenn die Energie aus versiegenden Energieträgern kommt, ist es sicherlich sinnvoll zu sagen: Ich will nicht nutzlos irgendwelche fossilen Energieträger raushauen. Trotzdem geht es dabei nicht um Energie- sondern um Kohlenstoff-Management. Und dann sieht man, dass ein Baum nicht  Kohlenstoff-neutral ist und auch nciht effizient, sondern effektiv. Und dafür sind Effizienz-Strategien dann eher nachteilig. Dann, wenn es Mangel gibt, dann tatsächlich. Da wir aber auf der Erde 10000 mal mehr Energie-Eintrag haben, als wir jemals brauchen werden, können wir uns Verschwendung erlauben. Darum gibt es die Vielfalt. Die Natur spart eben nicht. Nur unter Mangelsituationen neigt sie zur Effizienz und das können wir genauso machen. Aber das ist nur ein Übergang.

Nina Gellersen:Die Cradle-to-Cradle-Idee ist grundsätzlich ja sehr charmant und man könnte vielleicht behaupten, je schneller sich diese Idee durchsetzt, umso besser. Wieso ist die Lizensierung als c2c-Produkt dann gebührenpflichtig und nicht sozusagen Open Source? Wofür werden diese Gelder eingesetzt?

Wir müssen Cradle-to-Cradle schützen als Qualität, weil sonst jeder Trottel behauptet, er wäre Cradle-to-Cradle. Viele tun das auch, aber das ist dann mehr „Nudel-to-Nudel” oder „Knödel-to-Knödel”. Und das ist klar, wenn sie jetzt gerade in Holland sehen, da muss jetzt jedes Gebäude Cradle-to-Cradle sein, und da die Leute vielfach keine Qualifikation haben, nehmen sie halt ein Bäpperle drauf. Die Europäische Union gibt jetzt viele viele Millionen Euro in Cradle-to-Cradle-Design und deshalb will da auch jeder machen. Damit haben wir ein Qualitätsproblem. Wir haben darauf reagiert, unverzüglich und gesagt: Das muss gemeinnützig sein. Darum gibt es eine extra Cradle-to-Cradle Product Innovation Institute in Kalifornien, das ist eine Stiftung und dort kann jeder hingehen mit jedem Produkt und die Erlöse dienen ausschließlich gemeinnützigen Zwecken. Damit ist es weiter geschützt, aber trotzdem der Allgemeinheit zugänglich. Wenn es allein Open-Source wäre, würde jeder den Begriff missbrauchen, um die bestehenden Dinge mit einem Marketing-Label zu versehen. Es geht nicht darum, dass sich einzelne Leute daran bereichern, denn in der Tat ist Cradle-to-Cradle keine Erfindung, sondern eine Entdeckung. Sobald man begriffen hat, dass die Erde rund ist, kann man nicht sagen, Ich schütze das jetzt – aber die Qualtitätssicherung muss schon sein. Dass jemand, der die Erde als flach erklärt, sie nicht als rund verkaufen kann. Das ist wichtig.

Nina Gellersen: Gibt es eine Datenbank (oder so ähnlich), wo sich Produktdesigner bzw. Studierende informieren können, welche Materialien für ein «echtes» Recycling bzw. Upcycling nach derzeitigem Stand der Technik überhaupt eignen? Und falls ja: Ist diese kostenpflichtig? Und wenn ja: Warum?

Die Designer machen einen Fehler, wenn sie versuchen, bessere Materialwissenschaftler zu werden. Es gibt Materialbanken, so wie die MaterialconneXion-Leute; die Designern im Idustriebereich Materialien zur Verfügung stellen können, die Cradle-to-Cradle charakterisiert sind. Das wichtigere ist aber, die richtigen Fragen zu stellen an die Dinge. Es gibt aus Cradle-to-Cradle hervorgehend inzwischen verschiedene Green-Screen Datenbanken, die man nutzen kann. Für ganz unterschiedliche Bereiche. Es gibt eine „Sustainable Packaging” Coalition. Wir haben extra eine Non-Profit Organisation gegründet, damit sich die Verpackungsindustrie zusammentun kann. Aber die fällt immer wieder zurück in blutige Öko-Effizienz. Elektrische Stühle, die mit Windenergie angetrieben wreden, sind immer noch elektrische Stühle. Darum ist die wichtere Sache für den Designer, immer zu fragen: Was ist das Richtige. Trotzdem werden wir für Designer und Designerinnen auch im Rahmen dieses Cradle-to-Cradle Product-Innovation Institutes Daten  zur Verfügung stellen, die wir dem Institut schenken. Damit sie das, was wir an Kenntnissen haben, soweit es geht ohne Haftungsprobleme zu verursachen, der Allgemeinheit zur Verfügung stellen können…Und das tun wir auch.

 

In Teil 2 (wird noch veröffentlicht) des Interviews geht es um Verpackungsdesign, der Matrix für alle möglichen Felder für Design und dem Feedback aus unserer Community auf die Thesen von Cradle to Cradle.

 

 

 

 

 

3 Kommentare

  1. http://vimeo.com/13126772

    eine doku des wdr über cradle to cradle und braungart.
    auch kritiker sind zu hören. alles in allem gut gemacht und sehenswert.

  2. designkritik Autorenteam Bauer/Birlenbach/Okraj,

    http://braungart.com/publicationsDE.htm

  3. […] http://www.designkritik.dk ist ein interessantes Interview mit Prof. Braungart […]

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